Kristina
September 1992
Ich habe mir heute bei Schubert, dem Schreibwarenhändler, dieses Tagebuch gekauft. Ich glaube, weil ich sonst niemanden habe, mit dem ich über meinen Kummer sprechen kann. Das, was mit Kristina geschieht, ist für mich so unfassbar, dass ich es immer noch nicht glauben kann … nicht glauben will.
Ich weiß nicht einmal, wie ich es beschreiben soll. Nicht dass es die geeigneten Metaphern dafür nicht gäbe, nur glaube ich nicht, dass ich sie jemals mit meiner geliebten Frau in Verbindung bringen könnte.
Aber kann ich dieses Ding in unserem Keller überhaupt noch meine Frau nennen? Kann jemand von mir verlangen, dass ich diese … Kreatur, die vor wenigen Wochen noch meine geliebte Frau gewesen ist, weiterhin als solche betrachte? Jemanden, den ich liebe und verehre wie keinen zweiten Menschen auf dieser Welt.
Die Traurigkeit und Verzweiflung übermannt mich wieder … ich kann nicht weiterschreiben.
September 1992
Es geht mir wieder etwas besser … jedenfalls reicht es aus, um an dieser Stelle weiterzuschreiben.
Ich hatte mir unser Zusammenleben weiß Gott anders vorgestellt. Die großartigen Träumereien von Harmonie und dem Glück der Zweisamkeit waren wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen, seit sich in Kristinas Wesen diese seltsamen Veränderungen vollzogen, welche meine Liebe zu ihr in ein flaues Magendrücken verwandelten.
Anfangs bemerkte ich es gar nicht. Es begann ganz langsam. So wie sich der neue Trieb einer Pflanze nur langsam aus der Erde schiebt, so wuchs auch dieser seltsame Teil in ihr, der das zärtliche, anschmiegsame Wesen ihrer Persönlichkeit verdrängte, um ganz von ihr Besitz zu ergreifen.
Damals, als wir noch miteinander sprechen konnten, hatten wir uns oft über die Zukunft unterhalten. Wir schmiedeten Pläne, die meist um Kinder und ein Häuschen im Grünen kreisten. Ja, wir wollten Kinder. Nicht um uns selbst zu bestätigen oder unserer Beziehung neue Impulse zu geben, die ja doch darin bestanden hätten, einige weitere Neurotiker in diese kranke Welt zu setzen. Wir wollten Kinder um der Kinder willen. Wir wollten unserer Liebe Gestalt geben, um sie mit unserer ganzen Kraft und Liebe heranwachsen zu sehen. Doch das Schicksal scheint es anders zu wollen. Die Natur gab ihr eine Gestalt, die sich in einer furchterregenden Metamorphose immer weiter entwickelte.
Es begann damit, dass sie immer häufiger masturbierte. Nicht, dass sie es früher schon getan hätte. Ich finde das auch nicht schlimm. Es ist etwas, das jeder mit sich selbst tut, ohne den anderen zu betrügen. Jeder tut es, und es ist vollkommen normal. Aber in Kristinas Fall beschränkte es sich nicht mehr auf die drei, vier Male im Monat. In kürzester Zeit wurde das ihr Tagespensum. Auch zeigte sie eine plötzliche Vorliebe für unförmige Gegenstände, die sie sowohl vaginal als auch rektal einführte. So verwendete sie nicht nur Gerätschaften, die normalerweise in der Küche ihre Verwendung fanden, sondern auch Utensilien meines Werkzeugkastens, den ich nach geraumer Zeit im Keller verstecken musste.
Als Kristina zum elektrischen Rührgerät griff, sah ich mich gezwungen, einzuschreiten. Wir zankten uns ohnehin immer öfter, sodass es auf eine Kabbelei mehr oder weniger schon gar nicht mehr ankam. Zu dieser Zeit bekam sie auch erstmals diese giftgrünen Pupillen mit den schmalen, linsenförmigen Schlitzen, die nachts das Licht reflektierten. Auch waren damals schon die Ansätze der Fangzähne sichtbar geworden. Als ich sie das erste Mal so sah, bekam ich einen mächtigen Schreck, heute habe ich mich daran gewöhnt.
Mein Gott … Habe ich das?
Eine weitere Auffälligkeit in ihrem Verhalten zeigte sich, als sie Fleisch zubereitete. Ich für meinen Teil mag ein Steak gut durchgebraten am liebsten. Bei Kristina war dies genauso, bis … na ja, bis sich ihr Geschmack dann plötzlich änderte. Ich akzeptierte natürlich ihre neue Vorliebe, ohne daran Anstoß zu nehmen. Es gibt viele Leute, die ihr Steak medium oder nur kurz angebraten mögen. Auch als sie sich das Fleisch roh servierte, war das okay für mich, obwohl ich durchaus eine Zeit brauchte, um mich daran zu gewöhnen. Bestürzung überkam mich erst, als sie mir ein Steak vorsetzte und mir sagte, sie habe ihres bereits auf dem Nachhauseweg hinter einer Hecke verschlungen. Damals musste ihre Nahrung noch nicht lebendig sein.
September 1992
Ich habe heute mit Ariane telefoniert und ihr alles erzählt. Sie ist Kristinas Mutter, und sie kann mich nicht ausstehen. Ich sie auch nicht, und wenn es jemanden gibt, den ich nicht in meinem Haus haben möchte, dann sie. Sie schien seltsamerweise nicht sonderlich überrascht, als ich ihr von Kristinas Metamorphose berichtete. Sie sagte nur, ich solle sie in Ruhe lassen. Sie würde in ein paar Tagen kommen
Das wollte ich nun wirklich nicht, aber es schien, als sei ihr diese Verwandlung vertraut. Und irgendwie beruhigt es mich. Seltsam.
September 1992
Kristinas Zustand verschlechtert sich zusehends. Meiner auch. Ich habe furchtbare Kopfschmerzen. Kein Wunder, denn ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen. Im Büro stellen sie schon dumme Fragen oder geben mir gute Ratschläge. Ich sollte doch einige Tage ausspannen.
Gestern ist Arno, die kleine Schwuchtel aus der Buchhaltung, ausgerastet, weil ich »Leck mich am Arsch« zu ihm gesagt habe. Ich hatte es eigentlich nur so daher gesagt, so wie man anderen einen guten Morgen wünscht. Ich hatte es nicht ernst gemeint …
Ich weiß auch gar nicht mehr, warum ich es sagte … oh, doch … Es ging um irgendetwas Banales, das noch erledigt werden musste, und ich bat ihn, das doch selbst zu tun … Er konterte vorwurfsvoll mit »Ja, Chef!«
Ich sagte »Leck mich am Arsch« zu ihm, so beiläufig wie er mich Chef nannte. Wahrscheinlich hat ihn auch nur die Vorstellung, ich könne ihn tatsächlich am Arsche lecken, um den Verstand gebracht.
Auf alle Fälle kommt Arno doch kurz vor Feierabend zu mir und fängt an, mich mit seiner hysterischen Ich-fühle-mich-ernsthaft-verletzt-Stimme vollzusülzen …
Ja, er hat mich eregelrecht angeschrien!
»So Martin … und jetzt möchte ich dir nur eines sagen … Ich fand das heute eine Unverschämtheit von dir, wie du mit mir geredet hast, und ich lasse MIR DAS VON DIR NICHT GEFALLEN!!! WEIL WENN DU MEINST, DASS DU DIR HIER ALLES ERLAUBEN KANNST, DANN HAST DU DICH GESCHNITTEN!!!!« schrie er, als wolle er die Welt in die Luft jagen.
Ich wusste erst gar nicht, worum es geht … Ich starrte ihn fassungslos an. Er stand vor mir, mit hochrotem Köpfchen und schnaufend, als bekäme er jeden Moment einen Herzkranzgefäßkatarrh.
»Ist in Ordnung. Wenn ich dich beleidigt haben sollte, dann entschuldige ich mich hiermit«, sagte ich und dachte, was ich ihm am Mittag bereits gesagt hatte, weil es mir in diesem Moment keinen Sinn machte, mich mit ihm auf Streitereien einzulassen, und weil ich mich ohnehin beeilen musste, um nach Hause zu kommen, zu Kristina …
Auf dem Nachhauseweg hatte ich Arno, den sie übrigens in der Firma Arno Warzenschlecker nennen, längst vergessen. Ich hatte Angst davor, nach Hause zu kommen, meine Sachen in eine Ecke des Flurs zu werfen und mich auf direktem Wege in den Keller zu begeben, wo Kristina schon auf die Fütterung warten würde.
Als es so weit war, ging ich langsam die Treppe hinunter. Kristina ist kräftiger geworden, und es würde mich nicht wundern, wenn sie eines Tages den Keller auseinandernimmt. Ich hörte sie schon auf der Treppe, wie sie nervös auf- und ablief, wie es Raubtiere tun, die in einen Käfig gesperrt sind.
Ich traue mich kaum, es zuzugeben, aber ich weiß, dass mich der verstehen könnte, der Kristina gesehen hätte. Ich habe mir einen Elektroschocker gekauft. So ein Ding, das alte Frauen in ihrer Handtasche mitschleppen, für den Fall, dass sie überfallen werden. Natürlich kommen diese Dinger nie zum Einsatz, weil der Dieb meistens als Erstes die Handtasche schnappt. Aber mir konnte so etwas nicht passieren, weil ich es in der Hand hatte und bereit war, es einzusetzen, sollte mich dieses Vieh angreifen.
Obwohl mich gleichzeitig der Gedanke, ich muss meiner geliebten Kristina einen Elektroschock verpassen, fast um den Verstand brachte.
Ich schleuderte die Fleischbrocken in ihren Käfig und rannte die Treppe hinauf. Mitten auf der Treppe stolperte ich und fiel kopfüber nach vorn. Ich weiß nicht mehr, wann ich erwachte, aber es war spät in der Nacht, und ich hatte diese furchtbaren Kopfschmerzen. Ich weiß bis jetzt nicht, wie ich es geschafft habe, mir selbst einen Elektroschock zu versetzen, aber da ist dieses Brandloch auf meinem Hemd und die Blase an meinem Bauch und diese Kopfschmerzen … entsetzliche Kopfschmerzen.
Ich werde jetzt schlafen gehen. Ich habe die Schnauze voll für heute.
September 1992
Heute kam Ariane, Kristinas Mutter. Ich erwähnte schon, dass ich sie nicht leiden kann, obwohl sie nicht in das gängige Bild einer Schwiegermutter passt.
Sie ist so eine von der Sorte, die sich etepetete aufführt, und man dennoch anmerkt, dass sie eine rumänische Bäuerin ist. Sie kann einigermaßen gut kochen, und seit ihr Mann tot ist, verbringt sie auch die meiste Zeit des Tages damit. Anschließend isst sie dann ihre Suppen, Braten, Kuchen und sonstige Leckereien und beschwert sich ständig, dass sie immer fetter wird.
Sie hat mal irgendwo gelesen, dass ihr Bruder ihr immer vorgezogen wurde, als sie Kinder waren, und schiebt es darauf. Eigentlich ist es gar nicht ihr richtiger Bruder, sondern ein Halbbruder mit Namen Rudolf. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, ihn einmal kennenzulernen, und er ist einer von der Sorte, denen man aus hundert Kilometern ansieht, dass er ein Bauer ist. Man riecht es auch. Der aber immer denkt, er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen.
Ich hatte sie vom Bahnhof abgeholt und nach Hause gebracht, wo sie auch gleich nach Kristina sah.
Natürlich habe ich Ariane zur Rede gestellt, als ich merkte, dass sie keineswegs über Kristinas Zustand erstaunt war. Sie erzählte mir eine hanebüchene Geschichte über eine alte rumänische Rasse, die dazu verdammt gewesen sei, im Untergrund zu leben.
Ich wurde wütend, sehr wütend, und warf ihr allerlei Dinge an den Kopf, an die ich mich nicht mehr erinnere. Dann sagte sie etwas, das mir jegliche Sprache verschlug. Sie sagte, dass ich keinen blassen Schimmer hätte, und dass sie es unverantwortlich fände, dass Kristina mir nicht die volle Wahrheit erzählt hätte. Sie dürfe mir gratulieren, auch wenn ich ein kompletter Idiot sei, denn der Grund für Kristinas Verwandlung ist ihre Schwangerschaft!
Oktober 1992
Ich komme gerade aus dem Keller. Ariane hat gesagt, dass Kristina für dieses Stadium der Schwangerschaft hervorragend aussähe. Ich dürfe ihr jetzt nur nicht zu nahe kommen. Es könnte ziemlich gefährlich werden. Ariane sagte, sie wüsste, wovon sie spreche, weil sie dasselbe durchgemacht habe. Vage Andeutungen sind es, die ich von meiner lieben Schwiegermutter zu hören bekomme, mehr nicht. Ich mag Ariane, aber ich werde ihr immer misstrauischer gegenüber. Ich habe Angst, dass sie sich zur bösen, kratzbürstigen Schwiegermutter entwickeln könnte, so wie Kristina sich zu etwas entwickelt hat, das nach Arianes Meinung der Normalität entspricht. Ihrer Normalität.
Als ich den Vorschlag machte, unseren Hausarzt Dr. Klose zurate zu ziehen, wurde sie wütend und drohte mir damit, dass dies schlimme, wirklich schlimme Folgen haben könnte. Aber mehr wollte sie mir nicht erzählen.
Oktober 1992
Heute war ich in der Bibliothek und habe mir ein Buch besorgt. Es heißt „Mythen und Sagenwelt der Karpaten“ von Ion Blablanescu oder so ähnlich. Da ist tatsächlich von einer reptilartigen Rasse die Rede, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter der menschlichen Gestalt angenähert hat …
Nur bei wenigen Anlässen kommt das Tier in diesen Kreaturen – ihre wahre Gestalt sozusagen – ans Tageslicht. Erstens, wenn sie ein Stadium der Geschlechtsreife erreichen, das passiert etwa im Alter von vier Jahren, und wenn sie Kinder gebären. Die Tragzeit eines schwangeren Exemplars dauert etwa fünf oder sechs Monate, in denen sich die Frau zu dem verwandelt, was sie in Wirklichkeit ist: zu einem echsenartigen Monstrum. Das muss so sein, damit das Kind in ihrem Leib wachsen kann.
Ariane war ziemlich ungehalten, als ich ihr das Buch unter die Nase gehalten habe, weil sie überzeugt war, dass dieser Blablanescu ein ungläubiger Mistkerl sei, der alles, was an kultureller Vergangenheit Rumäniens Bestand hatte, zu verlogenen Ammenmärchen degradiert. In diesem Punkt musste ich ihr allerdings recht geben.
Er selber behauptet wirklich, dass es sich bei den in seinem Standardwerk beschriebenen Wesen um reine Ausgeburten primitiver Fantasie handelt. Es ist kein Hirngespinst. Der Beweis sitzt in meinem Keller und frisst gerade lebende Hauskaninchen, die Ariane in der Zoohandlung drei Querstraßen weiter gekauft hat.
Oktober 1992
Dieser Wichser Arno geht mir langsam wirklich auf den Sack. Heute kommt er in unser Büro, in das ich einen neuen Tisch gestellt habe, hinten an die Wand, wo nur dieser schwäbische Bauernkalender herumhängt. Endlich ein Platz, auf dem man unerledigtes Aktenzeug hinlegen kann, das sonst nur auf dem Schreibtisch herumsteht. Da kommt dieser Heini also rein, sieht den Tisch, wird wahrscheinlich wieder neidisch, weil er kein zusätzliches Möbelstück in sein Büro bekommen hat, und fängt an, sich darüber zu muckieren, dass dort an der Wand ein TISCH steht. Ein ganz normaler Bürotisch, den er absolut unpassend findet, weil der den Raum so klein macht. Außerdem nimmt der nur Platz weg.
Scheiße!
Ich frage ihn, was ihn das angeht, wie ich mein Büro einrichte, und er fängt an, wieder einen auf Dr. Wichtig zu machen. Spielt die beleidigte Leberwurst und kommt mit Sprüchen wie …
»Na ja, ich hab hier ja sowieso nichts zu sagen.«
Oh ja, bitte jammere mir doch die Ohren voll. Mehr Sprüche bitte! Wie wäre es mit … Ich bin ja so ein armer Tropf, der gestern wieder keinen Schwanz in den Hintern geschoben bekommen hat. Ach, ist das Leben schwer!
Was weiß dieses Arschloch schon davon, wie ein schweres Leben aussieht. Ich habe ein fleischfressendes Ungeheuer zu Hause, das ich vor einem Jahr geheiratet habe. Das sind Probleme und nicht ein beschissener Bürotisch, bei dem es mir scheißegal ist, wie er aussieht, hauptsache, er nützt was. Aber was nützen Schwule? Haben Schwule irgendeinen Sinn? Hat die Natur sich etwas dabei gedacht, als sie Männlein und Weiblein erschuf, oder nicht? Womit wir wieder beim Thema wären …
Heute habe ich Kristinas Stall sauber gemacht. In meinem Keller hat es gestunken, als seien wir in eine Kläranlage umgezogen. Kristina schlief in einer Ecke, und ich achtete peinlichst darauf, nicht über ihren Schwanz zu stolpern, den sie in regelmäßigen Abständen über den Kellerboden zog. Wahrscheinlich träumt sie gerade, dachte ich mir, und fragte mich, wovon wohl ein Monster träumen könnte. Vermutlich von Fleisch.
Langsam aber sicher bemerke auch ich eine Veränderung in meinem Wesen. Ich fluche wie ein Bauer, ich habe keine Nerven mehr, raste bei jedem kleinen Problem aus. Nicht nur das Monster in meinem Keller, nein, ihre Mutter abends neben mir auf meinem Sofa. Ich werde durchdrehen, ganz bestimmt drehe ich irgendwann durch.
November 1992
Neulich dachte ich an den Satz: Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen … und so weiter. Ich bin da anderer Meinung, weil ein werdender Vater eben nicht nur seinen Spaß hat. Ich bin ein werdender Vater, und ich möchte hiermit allen werdenden Vätern einen Vorschlag machen. Lasst uns dieses Arschloch, der sich diesen dummen Spruch hat einfallen lassen, gemeinsam an einen großen Baum hängen.
Außerdem bin ich ein wenig auf Entzug, was das „Vater werden“ betrifft. Da hat so eine junge Praktikantin bei uns angefangen. Sie stolziert den lieben langen Tag im Minirock durch unsere Büros und verdreht allen die Köpfe. Ich habe noch nie so einen Arsch gesehen. Normalerweise würde ich so etwas niemals zugeben, aber seit ein paar Wochen verliert ohnehin alles um mich herum an Bedeutung, eingeschlossen meine guten Manieren. Ich habe mir einen runtergeholt. Heute auf der Herrentoilette im Büro. Ich habe mir vorgestellt, wie ich mit Fräulein Praktikantin mit dem Aufzug in den Keller fahre und wir es wie die Tiere da unten treiben. Es ist lange her, dass ich mit einer Frau geschlafen habe. Ich glaube auch nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, wenn diese Frau einen dicken Bauch hätte. Aber ein Schuppenpanzer, das muss nun wirklich nicht sein.
November 1992
Ich bin mit den Nerven endgültig am Ende. Jetzt, wo ich mich gerade langsam an die Zustände im Hause gewöhnt habe, kommt meine liebe Schwiegermutter mit dem nächsten Hammer. Alles hatte sich so schön eingespielt. Ich hatte Kristinas Zustand als ein vorübergehendes Phänomen akzeptiert, das verschwindet, sobald sie unser Kind zur Welt gebracht haben würde. Und jetzt? Jetzt soll ich … Mein Gott. Ich kann es gar nicht aussprechen.
Am besten erzähle ich es ganz von vorn.
Ich hatte Kristina ihr Futter, zwei junge Hunde, in den Keller gebracht, die sie hinter einer Geräuschkulisse verschlang, die zu beschreiben ich nicht in der Lage bin. Die Hunde jaulten und kratzten mit ihren Pfoten auf dem steinigen Kellerboden, während sie Kristina im Genick gepackt hielt. Den einen schlug sie gegen die Kellerwand, den anderen biss sie bei lebendigem Leib den Kopf ab. Ich machte mich so schnell wie möglich aus dem Staub. Ich konnte und wollte das nicht weiter mit ansehen. Kristinas Körpergröße hat sich nunmehr fast verdoppelt, und ihre Zähne sind zu messerscharfen Hauern geworden, die den Arm eines ausgewachsenen Mannes ohne Schwierigkeiten durchbeißen könnten.
Die Hunde hatten es gespürt. Sie hatten genau gewusst, was Sache war, als ich sie die Kellertreppe herunterzerrte. Kristina knurrte und wurde ganz wild, als sie die erschreckten Tiere erblickte. Sie hatte Hunger. Schrecklichen Hunger …
Später beim Abendessen bekam ich kaum einen Bissen runter. Plötzlich eröffnet mir Ariane, dass es an der Zeit wäre, mir die volle Wahrheit über den Verlauf von Kristinas Schwangerschaft mitzuteilen. Mir blieb vor Schreck ein Stück Karotte im Hals stecken. Ich esse nämlich seit Kristinas „Wandlung“ kein Fleisch mehr.
Ich hustete die ekelhaften Reste des Gemüses aus und starrte Ariane fassungslos an.
»Was willst du mir sagen?«, zischte ich.
Sie erzählte mir, dass Kristina, um sich und das Kind in ein menschliches Wesen zu verwandeln, Nahrung mit menschlich-genetischem Material zu sich nehmen müsse. Normalerweise würde das Weibchen darum ihr Männchen auffressen!
Ich sah Ariane an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir war so seltsam, und schließlich wurde ich ohnmächtig.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Sofa, mit einem nassen Waschlappen auf der Stirn. Ariane saß bei mir und lächelte. Ich schreckte auf, und sie begann beruhigend auf mich einzureden …
Ich solle mir keine Sorgen machen, sie hätte nicht vor, mich Kristina zum Fraß vorzuwerfen. Im Gegenteil. Kristinas ausdrücklicher Wunsch war es gewesen, dass dies nicht geschieht, weil sie mich so unendlich liebte …
Ich lächelte … obwohl mir zum Kotzen elend war.
»Und was gedenkst du zu tun?«, fragte ich Ariane.
»Ich werde gar nichts tun!«, sagte sie lächelnd. »Du wirst ihr ein passendes Exemplar besorgen! Gesund und stark!«
»WAS?!?«, schrie ich und stieß sie von mir. Ich brüllte sie an, ob sie noch alle Tassen im Schrank hätte. Ob sie denke, ich mache mich auf die Socken und zerre irgendeinen wildfremden Mann in meinen Keller, damit meine Frau ihr artgerechtes Futter bekommt.
Wir stritten. Sie erzählte mir, dass die ganze Schwangerschaft und Kristinas rückläufige Metamorphose in einen Menschen infrage gestellt wäre, wenn sie kein gesundes Menschenfleisch bekäme.
Ich weigerte mich strikt und tue es immer noch. Ich werde keine Beihilfe zum Mord leisten. Niemals!
Am Ende unserer Diskussion über die Fressgewohnheiten rumänischer Monstergattungen fragte ich sie, ob Kristinas Vater ihr auch ein »passendes Exemplar« der Gattung Mensch besorgt hätte.
Sie antwortete …
»Nein, hat er nicht. Ich habe IHN gefressen.«
November 1992
Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde es tun. Ich werde ihr einen Menschen besorgen. Einen, dem sie alle Knochen im Leib brechen kann, bevor sie ihn mit Haut und Haaren verschlingt. Und dieser Mensch hat sein Todesurteil heute selbst gefällt: Arno.
Heute Morgen kam ich ins Büro und der Tisch war weg.
Ich fragte Frau Gutenrieth, die hakennasige Sekretärin unseres Chefs, wo dieser verdammte Tisch ist, und sie eröffnete mir, dass die kleine Kanalschwuchtel ihn heute Morgen abgeholt hat. Auf Anweisung von Herrn Stoll, unserem lieben Hauptabteilungsleiter. Der habe nämlich den Eindruck gehabt, dass der Tisch hier überflüssig sei, während es bei Herrn Arno Kassler doch einen dringenden Bedarf gäbe. Und da wir mit dem jährlichen Etat für Arbeitsmittel doch schon ziemlich an die Grenzen des Machbaren gekommen seien, zwinge ihn diese Situation, umstrukturierende Entscheidungen zu treffen.
SO EIN ARSCHLOCH!!!!
Er hat sich meinen Tisch unter seine dreckigen Fingernägel gerissen, dieser Wichser. Vermutlich hat er dem alten Stoll einen geblasen oder so was. Ich kann es nicht fassen!!! Den ganzen Tag saß ich im Büro und starrte nur noch auf die leere Stelle, wo gestern noch MEIN Tisch gestanden hatte. MEINE praktische Ablagefläche für Erledigtes und Unerledigtes. Ich habe kein Wort gesagt, habe mir nichts anmerken lassen. Absolut nichts. Beim Mittagstisch in der Kantine saß ich allein, bis es dieses kleine schwule Miststück wagt, sich zu mir an den Tisch zu setzen … und mich anzusprechen … UND MICH ZU FRAGEN, WIE ES MIR GEHT!!!
»Prima!«, sagte ich. »Könnte nicht besser sein.«
Er fragte mich, ob es mir arg viel ausmachen würde, dass er meinen Tisch habe, aber in seinem Büro staple sich die Arbeit, und als er sich einen bestellen wollte, sei unser lieber Chef auf die Idee gekommen, ihm meinen Tisch zu geben.
Ich blieb ruhig.
»Das ist doch selbstverständlich!« platzte ich heraus. »Ich wollte ihn dir eigentlich schon längst anbieten«, sagte ich und begann, ihm Honig ums Maul zu schmieren. Zunächst war er misstrauisch, doch dann ging er mir auf den Leim.
Ich erzählte ihm, dass ich immer noch ein schlechtes Gewissen hätte, weil ich »Leck mich …« – na, diesen schlimmen Satz eben – zu ihm gesagt habe, und es mir ohne Ende leidtäte. Ich hätte ihn aufgrund seiner Homosexualität verurteilt, und das nur, weil … – Mein Gott, ich kann es selbst nicht glauben, dass ich das gesagt habe – … weil ich selbst in mir diese Strömungen wahrnehme, und das seit ich IHN kennengelernt habe.
OCHSENSCHEISSE!!!!
Und er hat es mir abgenommen! Ja, er hat ein ganz feuchtes Höschen bekommen, die Gute. Und den ganzen Nachmittag über lief er an meinem Büro vorbei, um mir grinsende Blicke zuzuwerfen. Ich hab zurückgegrinst, und wie ich zurückgegrinst habe. Die Show war echt oskarreif. Nach Büroschluss fuhren wir gemeinsam, wie ein frisch verliebtes Pärchen mit dem Aufzug hinunter, und er zwitscherte mir ein zärtliches »Bis morgen … tüdelüdedü« zu.
Ich werd‘s dir schon besorgen, du miese kleine Tunte. Meine Alte wird den Arsch aufreißen, wie dir noch keiner den Arsch aufgerissen hat.
November 1992
Es ist nicht zu fassen. Ich muss vorsichtig sein, sonst kommen die Kollegen noch auf dumme Gedanken. Als ich heute Morgen ins Büro kam, stand ein Blumenstrauß auf meinem Schreibtisch …
tüdeltüdeltüü …
Ich dachte, ich seh nicht richtig.
Frau Maywald aus der Buchhaltung kam zu mir und erzählte mir brühwarm, dass Herr Kassler da gewesen sei und sie persönlich auf meinem Schreibtisch platziert hat. Da stecke auch ein Kärtchen, und der Strauß würde nach Parfüm stinken, dass es nicht zum Aushalten wäre.
Sie fragte mich, ob Arno jetzt völlig den Verstand verloren hätte, und ich erzählte ihr, dass er wahrscheinlich ein schlechtes Gewissen hat, weil ich ihn gestern in der Cafeteria die Meinung gegeigt habe.
Auf dem Kärtchen stand: »Für mehr als nur einen Freund! In ergebener Treue … Arno«
Ich ließ das Kärtchen in meiner Hosentasche verschwinden und stellte die Blumen auf den Boden … genau an die Stelle, wo MEIN Tisch gestanden hatte. Sie rochen nicht nach Parfüm, sie stanken danach, und ich wusste genau, warum ich dieses Arschloch nicht leiden konnte.
Weil er sein Schwulsein zur Schau stellte, als handle es sich um einen protzigen Wagen. Es gibt Schwule, die eben schwul sind, und die ihr Schwulsein eben leben, und es gibt Schwule, von denen man meinen könnte, sie müssten es sich täglich selber einreden. Und zu dieser Gattung zählte auch Arno Warzenschlecker, dem ich in der Mittagspause erklärte, dass ich seine Blumen zwar unglaublich süß fand, aber dass ich hier im Büro doch für etwas mehr Zurückhaltung wäre …
… wenn du verstehst, was ich meine, mein Großer! Tüdeltüdeltüü.
»Warum kommst du mich morgen nicht besuchen?«, habe ich ihn gefragt, und ich würde es als eine außergewöhnliche Gabe der Selbstbeherrschung bezeichnen, dass ihm der Sabber nicht literweise über sein Armanihemd gelaufen ist, von dem wie immer die ersten sechs Knöpfe geöffnet waren.
Er wusste gar nicht, was er sagen sollte, der Gute. Bei dem Gedanken an mein jungfräuliches Arschloch musste ihm fast die Hose geplatzt sein.
Als er in aller Öffentlichkeit meine Hand nehmen wollte, wurde mir die Sache doch ein wenig zu heiß. Ich bekam eine Gänsehaut.
»Dränge mich bitte nicht … Das ist mir alles noch so fremd«, sagte ich. Er hätte beinahe neu heulen angefangen.
Wenn er wüsste, dass er nie wieder seinen Schwanz in irgendein Arschloch stecken wird. Morgen wird Kristina ihr Beuf-Arno bekommen, und ich hoffe, dass ich dann in aller Ruhe meiner Vaterschaft entgegensehen kann.
November 1992
Es ist vollbracht.
Es hat nicht ganz so reibungslos funktioniert, wie ich es mir vorstellte, aber Kristina hat ihr Menü bekommen. Gegen 18.30 Uhr hatte es an meiner Haustür geklingelt. Ich hatte Ariane gebeten, sich einen guten Film im Kino anzusehen oder sich sonst wo hinzuscheren.
Ich öffnete die Tür, und Arno stand da. Mit einem großen Blumenstrauß in der Hand. Einem überdimensionalen Strauß voll roter Rosen und weißer Nelken. Ich fragte mich, ob er bei den Blumenhändlern dieser Stadt Rabatt bekam. An den Beinen trug er weiße Schlaghosen, dazu ein auberginefarbenes Seidenhemd mit großem Kragen. Es bestand kein Zweifel … Er sah zum Kotzen aus!
In Anbetracht der Sachlage konnte ich ernst bleiben, unter anderen Umständen wäre ich wahrscheinlich vor Lachen zusammengebrochen.
Ich bat ihn herein, und als er an mir vorbeiging, fragte ich mich, wer schlimmer stank, Arno oder der Stall meiner Frau.
Ich nahm die Blumen und stellte sie ins Wasser. Arno folgte mir in die Küche, wie ein Hündchen seinem Herrchen hinterherrennt, wenn es Hunger hat. Und Arno hatte Hunger! Aber da kannte ich noch jemanden, der Hunger hatte, und zwar großen.
Ich hatte nicht vor, das Spielchen länger zu treiben, als es nötig war, also beschloss ich, ihn unter einem Vorwand in den Keller zu locken. Ich hatte die Blumen kaum ins Wasser gestellt, als ich plötzlich von zwei Bärentatzen gepackt und gegen das Küchenbord gedrückt wurde.
»Na komm schon, mein Großer. Lass uns nicht bis nach dem Essen warten. Ich bin so geil auf dich, dass es mich fast zerreißt!«
Er drückte mir seine eklige Zunge auf die Lippen, und ich kniff nur noch sämtliche Öffnungen an meinem Körper zusammen. Irgendwie schaffte ich es, ihn wegzustoßen. Er trat einen Schritt zurück und entschuldigte sich tausendmal für sein ungestümes Verhalten. Aber er habe sich unsterblich in mich verliebt und sei ganz durcheinander.
»Lass uns etwas trinken«, schlug ich vor. So konnte ich wieder zu Kräften kommen und ihm einen letzten Henkerstrunk zukommen lassen. Wir tranken Campari … Er trank ihn mit Orangensaft … Ich trank ihn pur.
Als er so da saß und an seinem Glas nippte und sich schämte für das, was er gerade getan hatte, da bekam ich plötzlich Mitleid mit ihm. Und mit entsetzlicher Deutlichkeit wurde mir bewusst, was ich da eigentlich vorhatte. Ich wollte einen Menschen umbringen. Jemand, den ich zwar zum Kotzen fand, der aber genau so ein Recht auf Leben hatte wie jeder andere Mensch. Ich war tatsächlich kurz davor, einen Mord zu begehen. Ich konnte nicht anders …
Ich fing zu heulen an.
Arno sah es, stellte den Campari auf den Tisch und kam zu mir …
»Ich weiß genau, wie du dich fühlst, mein Schatz«, sagte er, und irgendwie tat es gut, von jemand in den Arm genommen zu werden. Nach all den Strapazen der letzten Wochen, nach all den unglaublichen Dingen, die geschehen waren, tat es gut. Ich schlang meine Arme um ihn, und es war mir scheißegal, ob er wie ein Parfümladen stank oder nicht.
»Ich kann mich gut in deine Lage versetzen. Es ist nicht leicht, sich selber gegenüber einzugestehen, dass man anders ist!«
»Was?«
»Ich werde zu dir stehen, mein Schatz. Du bist nicht allein … Du kannst bei mir wohnen, wenn dich deine Frau hinausschmeisst!«
»Wie bitte?«
Ich musste mich verhört haben … Doch dann versuchte dieser schleimige Wichser schon wieder, seine Zunge in meinen Mund zu stecken. Ich tat, was ich tun musste, und trieb ihm mit aller Kraft mein Knie zwischen die Beine. Er kippte vornüber und hechelte nach Luft, wie ein an Land gespülter Karpfen. Ich ging einige Schritte zurück, nahm Anlauf und trat ihm mit aller Kraft in seine Nieren. Er bäumte sich auf, einen stummen Schrei des Entsetzens in seinem Gesicht, und klappte wie ein Taschenmesser zusammen.
Ich schleifte ihn bis zur Kellertür, wo ich ihn erst mal liegen ließ, um selber einige Atemzüge lang verschnaufen zu können.
Arno hechelte, wie ein Hund in der prallen Sonne, und drückte immer noch seine Hände in den Schoß. Tränen schossen ihm in Sturzbächen über das Gesicht. Ich konnte auf verquere Weise nachvollziehen, welche Schmerzen er haben musste.
Unten im Keller rumpelte es. Kristina wurde nervös. Ich hörte, wie sie aufgeregt in ihrem Käfig auf und ab lief und dabei immer wieder an dem Gitter hochsprang. Sie konnte das Blut riechen, das ihm aus der Nase lief. Sie wusste, dass es jetzt jeden Augenblick so weit war, dass ich die Tür zum Keller öffnen und ihr den Leckerbissen hinunterschleifen würde.
Arno beruhigte sich. Der Schmerz ließ ein wenig nach. Ich zog ihn von der Tür weg, sodass ich sie überhaupt öffnen konnte. Dann schob ich meine Arme unter seine Achseln, die nass waren wie ein ausgewrungener Waschlappen.
»Was hast du vor?«, krächzte er und stieß sich mit den Füßen ab. Vermutlich dachte er, ich wolle ihm aufhelfen.
»Ich bring dich ins Bettchen, mein Schatz!«, flüsterte ich und zog ihn die Kellertreppe runter.
»Wo bringst du mich hin, verdammt«, sagte er, und seine Stimme gewann an Kraft. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis er sich wieder würde wehren können.
Seine Absätze klatschten auf die Stufen, während ich ihn Stück für Stück zu seinem Henker zog. Kristina erwartete uns mit einem Knurren, wie ich es seither noch nicht gehört hatte. Jetzt wurde Arno nervös und versuchte aufzustehen. Wir waren fast unten. Ich zog ihn das letzte Stück und ließ ihn, unten angekommen, auf den Steinboden fallen. Er schrie auf. Kristina begann wieder aufgeregt hin- und herzulaufen. Ihre Krallen kratzten auf dem Boden und machten entsetzliche Geräusche.
„Was ist das? Wo sind wir?“ fragte Arno und hatte Mühe aufzustehen. Ich schaltete das Licht an. Er sollte sehen, was ihn erwartete. Er sollte wissen, wer ihm die Eingeweide aus dem Leib reißen würde.
Im fahlen Schein des Kellerlichtes drehte er sich um und sah sie. Der erste Mensch außer Ariane und mir, der meine geliebte Frau in dieser schrecklichen Gestalt sah. Arno begann zu schreien. Ich hatte nach einer Schaufel gegriffen und mich hinter ihm aufgebaut. Ich holte aus und schlug ihm die flache Seite der Kelle in sein Kreuz. Sein Schrei verstummte schlagartig, und er kippte nach vorn. Ich öffnete die Schlösser an Kristinas Verschlag und zog die Tür auf. Sie schnellte aus dem Käfig, packte den bewusstlos am Boden liegenden Mann und zog ihn in den Käfig, so schnell, dass ich Mühe hatte, mit meinen Blicken zu folgen.
Dann ging ich die Kellertreppe hinauf. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen und mit anzusehen, wie Kristina die kleine Schwuchtel auseinandernahm. Ich hörte, wie sein Körper zu Boden geschlagen wurde. Das Brechen von Knochen und ekelhaft schmatzende Geräusche, als sie ihm die Gliedmaßen einzeln herausriss. Ich wäre gerne gerannt, aber ich konnte nicht. Ich hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Mir war schlecht und ich lief Gefahr, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Erst jetzt wurde mir mit entsetzlicher Deutlichkeit bewusst, was ich getan hatte. Ich hatte einen Menschen getötet. Ich hatte ihn unter fadenscheinigen Vorwänden in mein Haus gelockt und ihn in den Tod geschickt. Ich schämte mich. Ich hasste mich und tue es immer noch. Ich kann nicht einmal Kristina dafür verantwortlich machen, die nur ihrem natürlichen Trieb folgt. Aber ich kann denken und entscheiden, und ich habe mich entschieden, ein Mörder zu sein. Der Gedanke macht mich fast wahnsinnig.
Als Ariane später nach Hause kam, sagte ich ihr, dass ich mich für die nächsten Tage weigere, in den Keller zu gehen. Sie war wirklich verständnisvoll. Sie sagte, sie würde sich um die Überreste des Mannes kümmern und um die Pflege des Stalles. Ich sagte keinen Ton mehr und ging wortlos nach oben … Jetzt werde ich versuchen, ein wenig zu schlafen.
Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.
Dezember 1992
Sie hat mir die Hand abgebissen! Diese dumme Fotze hat mir doch tatsächlich die Hand abgebissen. Ich habe sie in die Seite getreten … einmal … zweimal. Und wenn ihre beschissene Mutter nicht dazwischengegangen wäre, dann hätte ich dieses Mistvieh umgebracht. Ich hätte sie erschlagen, wie man einen tollwütigen Hund erschlägt.
Ich weiß nicht mal mehr genau, wie das Ganze passiert ist. Ariane kam zu ihrer täglichen Visite und brachte eine Ziege mit. Sie behauptete, das Fleisch reiche für mindestens drei Tage, was ich bezweifelte, weil Kristinas Appetit ein Ausmaß angenommen hat, mit dem jede Großwildkatze konkurrieren könnte. Natürlich haben Großwildkatzen keinen Schuppenpanzer.
Ich brachte die Ziege in den Keller und führte sie in Kristinas Holzverschlag, den ich erst kurz zuvor mit Stahlstreben ausbruchssicher gemacht hatte. Irgendwie hatte sich Kristina von ihren Ketten befreien können. Sie hatte sich in einer dunklen Ecke verkrochen.
Ich sprach sie an … ganz behutsam, und tastete mit meiner Linken nach der Kette, um die Lampe anzumachen. Plötzlich schnellte ein riesiges Maul mit messerscharfen Zähnen hervor und schnappte nach mir. Ich wusste gar nicht, was los war. Im ersten Moment spürte ich nur einen kurzen stechenden Schmerz.
Die Ziege, die ich an einer Leine in meiner rechten Hand hatte, begann, wie wild geworden zu ziehen und zu zerren. Ich ließ die Leine los, und die Ziege rannte aus dem Keller. Kristina hatte sich in meiner Hand festgebissen. Reflexartig ging ich einen Schritt auf sie zu und trat nach ihr. Ich trat sehr fest zu, und Gott soll mich dafür strafen, aber es tat gut …
Schließlich ließ sie meine Hand los und huschte wieder in ihr dunkles Eck. Ich taumelte einige Schritte zurück und erblickte im Dämmerlicht des Kellerganges, was von meiner linken Hand noch übrig war. Im selben Moment wurde mir schwindlig und speiübel. Und dann begannen die Schmerzen. Schmerzen, wie ich sie noch nie in meinem Leben zu spüren bekommen hatte. Ich wollte schreien, aber der Schrei blieb mir in der Kehle stecken wie eine klebrige Socke. Und dann weiß ich nicht mehr, was mit mir geschah. Ich rannte zu diesem Scheißvieh hin und trat auf sie ein. Immer wieder, oder so fest es nur ging … Ich trat einfach in die Dunkelheit. Einige Male trat ich gegen die Wand. Dann hörte ich jemanden schreien. Es war Ariane. Ich habe auf ihr Schreien nicht reagiert. Sie tat das vermutlich einzig Vernünftige … und schlug mich mit einem Holzknüppel nieder.
Ich erwachte auf dem Sofa im Wohnzimmer. Der Stummel an meinem Arm war eingebunden und schmerzte fürchterlich. Ariane sagte, sie habe die Wunde mit einem alten rumänischen Hausmittel versorgt. Sie habe angeblich gerettet, was es zu retten gegeben hatte. Ich weiß nicht, ob ich ihr das glauben soll. Mir bleibt wahrscheinlich nichts anderes übrig. Sie hatte mich nicht in ein Krankenhaus bringen wollen. Erstens, weil die auch nichts besser hätten machen können, und zweitens wegen unangenehmer Fragen, die nur zu Schwierigkeiten geführt hätten.
Ja, sagen Sie mal, wie ist denn das passiert? Haben Sie einen Alligator in Ihrer Toilette? Oder züchten Sie Kampfhunde?
Nein, Doc. Es ist alles in Ordnung. Meine Frau bekommt nur ihr erstes Kind.
Schwierigkeiten könnten wir uns gerade jetzt nicht erlauben, sagt Ariane. Es wäre schließlich bald so weit. Auf meine Frage, ob ich Kristina mit meinen Fußtritten verletzt hätte, antwortete Schwiegermama, dass sich Kristina glücklicherweise in ein anderes Eck verzogen und ich auf einen Sack voller Rauputz eingetreten hätte. Glücklicherweise für mich natürlich, denn wenn ich Kristina tatsächlich getroffen hätte, wäre es vermutlich aus mit mir gewesen. Schließlich hatte sie noch an diesem Tage nichts zu futtern gehabt.
Das ist jetzt ganz vier Tage her, und ich habe mir geschworen, sollte dieses Ungeheuer nicht bald werfen und sich wieder in meine liebliche Kristina zurückverwandeln, dann bringe ich sie um. Alle beide werde ich umbringen, und es wird mir wahnsinnigen Spaß machen.
Dezember 1992
Das Schreiben strengt an. Ich habe immer noch bestialische Schmerzen. Manchmal wird mir plötzlich schwindlig, und ich muss mich setzen, weil ich sonst Gefahr laufe, auf die Fresse zu fliegen. Und ich will mir ja schließlich nicht wehtun.
HA-HA-HA!
Ariane sagt, es ist bald so weit. Sie sagt auch, ich dürfe bei der Geburt dabei sein. Ich frage mich, ob ich mir dieses zweifelhafte Vergnügen antun soll. Aber es ist ja schließlich mein Kind, und es ist auch meine Frau, und es ist meine Pflicht zu tun …
Auch wenn …
Mein Gott, mir wird schon wieder so schwindlig.
Ariane sagt, sie mache sich Sorgen um mich. Ist das nicht lieb von ihr? Als wir heute Morgen den Verband gewechselt haben, trat ein zäher grüner Schleim aus der Wunde. Ich hätte mich infiziert, und das sei nicht sehr gut, weil ich ein Mann sei, und Männer kämen mit den Hormonen von dieser Scheißgattung nicht so ganz zurecht. Sie sollten das Rezept an die Feministinnen verkaufen. Die würden ein Schweinegeld dafür zahlen. Dann könnten Alice und Konsortien endlich im Wunderland leben, ohne Männer, nur Frauen, die sich in Monster verwandeln … Ich frage mich, wen sie dann als Nächstes für ihre Minderwertigkeitskomplexe verantwortlich machen würden.
Scheiße …
Emanzen sind auch nur verkappte Faschisten.
Scheiße …
Aber ich bin auch nicht besser. Momentan mache ich eine rumänische Minderheit für meine ganzen Probleme verantwortlich.
Wenn mir nur nicht so schwindlig wäre.
Ich habe mich für eine weitere Woche krankgemeldet. Frau Maywald erzählte mir am Telefon, dass Herr Kessler ebenfalls seit über einer Woche fehlen würde.
Fuck you!
Herr Kassler ist im Himmel auf einer rosa Wolke und spielt Harfe.
Dezember 1992
Lieber Weihnachtsmann.
Ich schreibe Dir heute diesen Brief, weil ich den Nikolaustag leider im Delirium verbracht habe. Ich will auch keine Geschenke. Ich will nur eines … Ich will wissen, was Du, das verdammte Christkind und der liebe Gott gegen mich haben! Kannst Du mir das verraten?
Ich wollte doch nur ein Kind! Einen Sohn, einen Stammhalter, auf den ich stolz sein kann! Mit einem Töchterchen wäre ich bis vor ein paar Monaten auch zufrieden gewesen. Gegenwärtig habe ich so meine Probleme damit.
Ich habe vielleicht doch einen Wunsch … und das ist bestimmt nicht Weltfrieden oder so ein Scheiß. Ich will: dass meine verdammte Frau diese Krankheit in ihrem Bauch endlich auswirft und wieder zu dem lieben und freundlichen, begehrenswerten Wesen wird, das sie einmal war.
IST DAS ZU VIEL VERLANGT!!!!
Und dann wünsche ich mir, dass ihre Scheiß-Mutter endlich aus meinem Haus verschwindet. Sie muss nicht gleich auf einem Scheiterhaufen landen, obwohl diese Vorstellung eine seltsam beruhigende Wirkung auf mich hat. Nein, mir reicht es schon, wenn sie den üblichen Mindestabstand von 50 Kilometern einhält, wie es sich für eine Schwiegermutter gehört. Vielleicht sollte ihr Telefon für die ersten sechs Monate kaputt sein. Ich bleibe dafür auch das ganze Jahr über brav … Ich werde weder mit dem Elektroschocker auf meine Familie losgehen, noch auf der Herrentoilette onanieren, noch ein menschliches Wesen an ein Monster zu verfüttern, und sei es noch so ein Arschloch.
Und gleich nach Kristinas Niederkunft werde ich mich sterilisieren lassen … Mir reicht ein Kind vollkommen aus … Wirklich! Ich werde jeden Abend beten und Rosenkränze vor mich hin murmeln und Weihnachtslieder singen … so schön singen …
Ihr Kinderlein kooomet oh koomet doch aaaaallll ….
Nur bitte, bitte, bitte lass diesen Albtraum endlich vorbei sein … Bitte … Bitte …
Ich kann nicht mehr.
Dezember 1992
Heute ist Silvester, und ich dachte mir, dass heute eigentlich ein guter Tag wäre, um diesem Debakel endlich ein Ende zu setzen. Nachts … Punkt zwölf, wenn sie alle ballern und man meint, sie jagen jetzt die Stadt in die Luft, dann würde ein Schuss oder zwei nicht weiter auffallen …
Da ist nur ein Problem. Wohin mit den Leichen? Ich könnte den Keller mit Beton auffüllen, aber das wäre eine sinnlose Verschwendung nutzbaren Lagerplatzes. Ich könnte sie auch als Riesenknallbonbon verkleiden und hinaus auf die Straße legen, aber dann würden die nächstbesten Idioten versuchen, sie aufzuziehen. Alles Blödsinn … Ich könnte Kristina und nicht mal ihrer verfluchten Mutter etwas zuleide tun.
Heute sagte Ariane, dass es bald so weit wäre. Ein paar Tage noch, dann käme das Kind zur Welt. Ich dürfte gerne dabei sein. Ich will aber nicht dabei sein … Mir ist jetzt schon schlecht genug. Ich fragte sie, wie lange es dauern würde, bis Kristina wieder normal wäre. Sie faselte etwas von ein paar Tagen, aber ich glaube das nicht. Ich habe das Gefühl, dass sie mich nur beruhigen wollte, weil ich ziemlich ungeduldig geworden bin.
Was den Stummel an meinem linken Arm betrifft, so bin ich auch nicht so sicher, ob es so gut war, nicht in ein Krankenhaus zu gehen. Es hat sich eine grünliche Schuppenkruste gebildet, die zu wachsen scheint. Der halbe Unterarm ist schon voll damit. Und die Wunde nässt immer noch wie verrückt. Wenn nur das Jucken nicht wäre. Schmerzen sind erträglich, aber wenn es ständig juckt, dann wird man verrückt dabei. Man fühlt sich wie jemand, den man mit einer Zwangsjacke aus Schafwolle in einer Sauna eingesperrt hat. Ariane hat gesagt, das wäre alles völlig normal. Klar … Grüne Schuppen sind normal … Juckende Schleimwunden sind normal … Demnächst wird mir der Schwanz abfallen, und es wird völlig normal sein. Prima, Ariane. Ich vertraue dir. Es wird schon werden … Bis zu meinem Tod werde ich mir so lange anderweitig die Zeit totschlagen.
Genau … Ich werde mich einfach betrinken und so lange blau bleiben, bis alles vorbei ist. Ariane hat eine Hausbowle gemacht, nach rumänischem Originalrezept. Wahrscheinlich werde ich daran sterben. Auch gut … das ist völlig normal!
Januar 1993
Ich bin Vater!!! Ich kann es selbst kaum glauben. Kristina brachte heute in den frühen Morgenstunden ein Töchterchen zur Welt. Die Kleine … Ich habe mich noch nicht auf einen Namen festgelegt, weil ich damit warten möchte, bis Kristina wieder sprechen kann, was höchstens ein paar Tage dauern wird, wie mir Ariane versichert … ist quietschfidel und lacht, sobald man sie ansieht. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich bin tatsächlich Vater geworden. Nach fünf Monaten Hölle. Aber ich scheiß‘ drauf … und ich scheiß‘ auch auf Arno. Soll ihn der Teufel holen.
Es war das Größte, was ich bis jetzt erlebt habe. Ich assistierte Ariane mit warmem Wasser und Handtüchern. Kristina hatte sich gegen 14:30 Uhr in eine Ecke ihres Verschlages verkrochen und sich nicht mehr bewegt. Ich war unten, um mir eine Flasche Wein zu holen, das Einzige, was mir in den letzten Tagen Trost spendete und die Schmerzen in meinem Arm erträglicher machte. Ich informierte Ariane, die selbst nachsah und plötzlich wie von der Tarantel gestochen ins Wohnzimmer gestürmt kam. Ich solle meinen faulen Arsch erheben, schrie sie mich an.
»Es ist so weit!«
Sie zählte mir eine ganze Reihe von Dingen auf, die ich zusammentragen sollte. Unter anderem einen Eispickel, von dem ich mir nicht vorstellen konnte, wozu sie ihn brauchte. Aber ich folgte, denn ich hatte keine andere Wahl. Ich war gezwungen, ihr zu vertrauen.
Ich brachte Laken, Handtücher und einen Eimer Wasser nach unten. Dann holte ich noch den Eispickel aus der Schublade im Küchentisch und kauerte mich neben Ariane, die damit beschäftigt war, Kristina den Hintern abzuwischen und den Boden mit sauberen Bettlaken abzudecken. Zum ersten Mal konnte ich Kristinas Erscheinung genau betrachten.
Sie war halb Mensch, halb Reptil. Aus ihrem Rücken war ein kräftiger, mit Schuppen bewachsener Schwanz gewachsen.
Sie lag auf der Seite und gab Geräusche von sich, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Sie schrie, und ihr Schreien war wie das Kreischen eines Schweines, das in den Schlachtraum geführt wird. Sie kratzte mit ihren Krallen über den Steinboden, und Ariane sprach beruhigend auf sie ein in einer Sprache, die ich nicht verstehen konnte. Es schien mir auch keine menschliche Sprache zu sein, sondern eher eine Mischung aus Gurren und Glucksen, durchsetzt mit Wortfetzen.
Kristina bäumte sich auf, schlug ihren Schwanz zurück und legte dadurch ihr Hinterteil frei. Eine blutrote Öffnung war sichtbar geworden, die sich unmerklich zu dehnen begann. Etwas Weißes trat hervor und schob sich langsam nach draußen. Ariane begann damit, rhythmisch Kristinas Hinterflanken zu massieren, vermutlich um ihr das Pressen zu erleichtern.
Ich stand mehr oder weniger hilflos daneben und sah zu, wie meine Frau, oder das, was aus ihr geworden war, unser Kind zur Welt brachte, indem sie ein Ei legte.
Das Ei war etwa zur Hälfte aus Kristinas Hinterleib geschwollen und flutschte mit einem schmatzenden Geräusch hinaus. Kristina entspannte sich im selben Moment, und Ariane nahm das Ei, legte es behutsam auf ein Handtuch und wischte das Blut ab. Dann nahm sie den Eispickel. Jetzt wurde mir klar, wozu sie ihn brauchte. Sie tastete die Schale ab und stieß am oberen Ende hinein. Die Schale platzte mit einem knackenden Geräusch und zerfiel in drei gleich große Drittel.
Da lag sie. Meine Tochter. In Menschengestalt. Und begann im selben Moment zu schreien. Ariane legte das Kind auf ein frisches Handtuch und wischte es ab. Kristina wendete sich einen kurzen Moment ihrer Tochter zu, kippte dann aber wieder schnaufend nach hinten. Die Anstrengung hatte sie müde gemacht. Sie schlief ein.
Es sei jetzt eine kritische Phase, die sie durchläuft, sagte mir Ariane. Man müsse sie jetzt von jeglichem Stress fernhalten. Ihr Körper sei derart überanstrengt, dass sie jetzt sehr anfällig sei für alle möglichen Krankheiten. Besonders mit menschlichen Viren oder Bakterien müsse man jetzt aufpassen. Wir betteten sie auf saubere Bettlaken, mit denen wir den ganzen Keller auslegten. Dann wuschen wir sie gründlich von Kopf bis Fuß und deckten sie mit Laken zu.
Sie wird sich erholen.
Ich habe eine Tochter. Eine wunderschöne Tochter, von der Ariane findet, dass sie mir sogar ein wenig ähnlich sieht. Heute habe ich sie gebadet und ihr das Fläschchen gegeben, und ich bin der glücklichste Mensch auf Gottes Erdboden.
Man sagt, dass eine Schwangerschaft und eine Geburt zu den schwersten und schmerzvollsten Anstrengungen gehören. Und so manches Mal verflucht man das Kind. Doch wenn es dann da ist, wenn man es im Arm hält und es einen anlächelt, dann ist alles vergessen. Und genau so ist es.
Es ist mir egal, ob Kristina ein Monster war. In wenigen Tagen wird auch dieser Spuk vorbei sein, sagt Ariane. Es ist mir auch egal, ob ein Mensch sterben musste, damit das Kind zur Welt kommen konnte. Es ist vorbei, und meine Tochter lebt, und nur das zählt. Die Hand, die mir abgebissen wurde, ist ein Handicap. Aber die Narben verheilen, und auch die grünen Schuppen sind verschwunden. Ich werde mich wieder erholen. Hauptsache, Kristina und dem Kind geht es gut … Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.
Januar 1993
Kristina ist tot. Ariane hat sie heute Morgen im Keller gefunden. Sie weiß nicht, wie das passieren konnte. Sie hatte sich schon fast wieder in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt. Alles war planmäßig verlaufen.
Ich weiß, warum, und ich habe Ariane die Wahrheit verschwiegen. Stattdessen habe ich mir in der Mittagspause einen Revolver besorgt. Wenn Kristina nicht schon tot gewesen wäre, hätte ich sie erschossen. Ich muss jetzt vernünftig sein. Es hat keinen Sinn, vor der Wahrheit davonzurennen.
Im Büro gab es viele Spekulationen über Arnolds Verschwinden. Ich stellte mich natürlich unwissend. Doch dann war da Frau Maywald, die mir anvertraute, dass sie der felsenfesten Überzeugung sei, dass Arno sich umgebracht habe. Ich fragte sie, warum, und sie erzählte mir von dem Aids-Test und dass er seit einigen Wochen gewusst hatte, dass er positiv sei.
Kristinas Immunsystem musste zusammengebrochen sein. Meine kleine Tochter wird noch eine gewisse Zeit haben.
Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Aber der Revolver liegt neben mir auf dem Schreibtisch. Ariane sitzt unten und füttert die Kleine. Ich werde jetzt aufhören, zu schreiben. Ich weiß noch nicht, was ich tun werde, wenn ich gleich nach unten gehe und den Revolver mitnehme … Aber ich weiß, dass jemand für das Unglück bezahlen muss.
***
