Therapie

Wie wichtig Aufnahmefähigkeit und Verständnis für eine feste Partnerschaft sind, zeigt sich besonders, wenn einer der Partner sich in therapeutische Behandlung begibt. Besonders dann, wenn es um kritische Punkte, um Konflikte im Unbewussten des Patienten geht, ist die Feinfühligkeit des Partners besonders gefragt. Gudrun und Robert sind so ein Paar. Robert befindet sich seit einem halben Jahr in psychoanalytischer Behandlung. Gudrun steht ihm mit Aufmerksamkeit und Verständnis zur Seite, egal was passiert…

„Na, Liebling. Wie war’s heute in der Therapie?“ fragte Gudrun, als Robert hereinkam und seinen Mantel über den Stuhl warf. „Heute war’s echt hart. Ich glaube, ich komme jetzt wirklich in eine entscheidende Phase…“, sagte er eher beiläufig und ließ sich in seinen Fernsehsessel fallen.

„Schon wieder? Hast wohl Depressionen, hm?“

„Und wie! Ich könnte die ganze Welt in die Luft jagen…“

„Hm, das lassen wir doch wohl lieber, mein Großer. Jetzt gibt’s erst mal etwas zu essen, Schnuckelchen!“ flötete Gudrun in melodischem Singsang, stakste mit Topflappen bewaffnet in die Küche, um den Topf zu holen. „Ich habe keinen Hunger…“, brummte Robert und rieb sich die Augen.

„Och, jetzt komm aber! Depressionen hin oder her. Ich stehe doch nicht stundenlang umsonst in der Küche“, sagte sie ein wenig enttäuscht und stellte den Topf auf den Tisch.

„Aber Schatz, wenn ich es dir doch sage. Ich kann jetzt nichts essen. Die Stunde liegt mir noch viel zu sehr im Magen. Es ist doch nichts gegen dich…“

„Robert! Du könntest wenigstens einmal probieren!“ sagte Gudrun in liebevoll energischem Tonfall und dirigierte dazu mit der Schöpfkelle.

„Liebling, verdammte noch mal, nein!“ fauchte er und schlug mit den Händen auf die Lehne des Sessels.

„Sag mal, wie redest denn du mit mir?“

„Tut mir leid, Schatz. Aber… es geht mir wirklich nicht so gut. Bitte entschuldige…“

Sie nahm den Topf und trug ihn wieder zurück auf die noch warme Herdplatte.

„Ja ich weiß, die Therapie! Um was ging es denn heute?“

„Um meine Hassgefühle…“

„So, so. Was ich dich schon immer mal fragen wollte… Redet ihr eigentlich über mich? Du und deine Analytikerin, meine ich.“

„Natürlich! Wir reden von nichts anderem!“

„Was?“

„Warum schaust du denn jetzt so entsetzt, Gundi?“

„Ich dachte, ihr redet über deine Hassgefühle.“

„Ja, über euch… Oder beides. Du bist doch meine Projektionsfläche!“

„Was bin ich?“, murmelte sie und ließ sich mit offenem Mund auf der Couch nieder.

„Ich projiziere meine Aggressionen in dich!“

„Sag mal, wie darf ich denn das verstehen?“

„Ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt… Also, ich lege einen Teil von mir in dich rein.“

„Ferkel!“

„Nein, doch nicht so. Psychisch meine ich, ich lege also einen Teil meiner Psyche in dich, und den hasse ich dann. Ich erlebe ihn dann als Teil von dir und denke, dass ich dich hasse. Es geht natürlich nicht gegen dich persönlich!“

„So?“

„Nein, das ist, weil wir zusammenleben, und du meine Projektionsfläche bist!“

Gundi schielte misstrauisch zu ihrem Gatten.

„So? Und was bin ich sonst noch?“

„Nichts weiter…“

„Ich bin also nichts weiter als eine Projektionsfläche für dich!“

„Nein, so meine ich das doch nicht…“

„Ach, ja?“

„Nein! Ich liebe dich doch, deshalb muss ich doch euch in dich projizieren.“

„Das ist ja reizend. Du musst also in mich projizieren…“

„Projizieren! Die Projektion ist ein Abwehrmechanismus der Psyche! Ach Schatzi, jetzt nimm doch nicht gleich alles persönlich!“

„So, ich soll also nicht alles persönlich nehmen, was? Du kommst nach Hause, willst nichts essen, willst die ganze Welt in die Luft sprengen und projizierst deine Mutter in der Gegend rum, oder was immer in deinem kranken Kopf rumgeht, und erzählst mir, ich wäre die Fläche für den ganzen Scheiß, weil du mich liebst. Also ehrlich, du bist ganz schön plemplem!“

„Projektive Identifikation!“ rief er triumphierend aus.

„Was?“

„Das ist projektive Identifikation! Du bist stinkesauer. Das ist mein Teil, den ich gerade in dich projiziert habe. Du erlebst ihn als Teil deiner selbst und agierst meine Wut durch dich!“

„Jetzt spinnt er total!“

„Weißt du was, mein Schnuckel? Ich habe Hunger!“, sagte er und setze sich zufrieden an den Esstisch.

Gudrun ging ins Bad und erhängte sich, worauf Robert endlich die Analyse zu einem erfolgreichen Ende bringen konnte.

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