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Stefan und Sabine saßen auf dem Balkon von Stefans kleiner Dachgeschosswohnung beim sonntäglichen Frühstück. Die Sonne schien und aus dem Wohnzimmer drang leise Musik. Das Vogelgezwitscher aus den Bäumen im Nachbargarten untermalte die Stimmung des Augenblicks. Zufrieden ließen sie den herrlichen Vormittag an sich vorüberziehen, bis Stefan, von plötzlichem Tumult aufgeschreckt, hinüber in den Nachbargarten blickte. Kinder tobten mit einem bunten Wasserball über den gepflegten Rasen. Ein etwa elfjähriger Junge neckte seine Schwester, die nicht älter als fünf sein mochte, indem er ihr den Ball hinhielt, ihn wieder wegzog und davonrannte, sobald sie danach zu greifen versuchte.
Doch da war noch etwas anderes, was Stefans Aufmerksamkeit erregte. Er starrte verhalten auf eine Stelle im Garten und es dauerte eine ganze Weile, bis Sabine etwas von Stefans geistiger Abwesenheit bemerkte. Er selbst benötigte einige Sekunden, um die Erinnerungen zu ordnen, die sich plötzlich in sein Bewusstsein zwangen. Ja, natürlich! Die Liegestühle und das Beistelltischchen, so eines, wie man es in jedem Gartengroßmarkt kaufen konnte. Und die Glaskaraffe mit Orangensaft…
Der Saft war vergiftet!
Wie hatte er das nur vergessen können? Sabine bemerkte Stefans starren Blick und schaute ebenfalls in Richtung Nachbargrundstück. Sie wusste sofort, woran er dachte. Sie hatte die Liegestühle auch gleich entdeckt, auf denen es sich das junge Ehepaar von nebenan bequem gemacht hatte und seinen beiden Kindern zusah, die jetzt um den kleinen Goldfischteich herumtollten. Plötzlich erhob sich die junge Frau und eilte zu ihrer Tochter, die aus lauter Verzweiflung über die Bosheit ihres Bruders, der ihr immer noch nicht den Ball überlassen hatte, fürchterlich zu weinen begonnen hatte. Doch das schien auch Sabine nicht davon abhalten zu können, auf das Gartenmöbelarrangement auf dem Nachbargrundstück zu starren. Neben den Liegestühlen stand ein Tischchen und darauf eine Karaffe mit Saft, sowie zwei halbvolle Gläser.
Der Saft!, dachte Sabine. So musste es damals dort ausgesehen haben, sonst wäre Stefan nicht so entrückt. Außerdem war er in den letzten zwei Minuten kreidebleich geworden.
»Du denkst an Edvard und Amalie?«
Stille. Etwa zehn Sekunden, in denen Stefan zweimal schluckte.
»Ja…«, sagte er knapp und fuhr fort, Butter auf sein Brötchen zu streichen.
»Du hast sie nach ihrem Tod noch zwei Mal gesehen, nicht wahr?«, fragte Sabine.
»Ich denke, dass sie sich die ganze Zeit in meiner Nähe waren. Manchmal meinte ich, sie zu spüren. Wir waren miteinander verbunden, bis…« Stefan unterbrach sich selbst, starrte auf seine Brötchenhälfte, als handle es sich um ein außerirdisches Artefakt, bevor er den Kopf schüttelte, die Augen schloss und hineinbiss.
»Ich hatte das Ganze auch total vergessen«, bemerkte Sabine.
»Iff auff!«, gab Stefan mit vollem Mund von sich und starrte Sabine an, die zu grinsen begann und mit einem »Ach ja?« reagierte.
Solche Sachen schien man nur allzu leicht zu vergessen. Dinge, die einem furchtbare Angst gemacht hatten, die einen nächtelang nicht losließen, ja bis in den Schlaf verfolgten. Obwohl es einschneidende Erlebnisse waren, die einem das Leben auf den Kopf gestellt hatten. Plötzlich war man mit Dingen konfrontiert worden, die… Ja, die man früher lächelnd beiseitegeschoben hätte, als Spinnereien irgendwelcher Okkultisten abgetan hätte. Und dabei hatten sich doch Stefan und Sabine eben in dieser wirren Zeit kennengelernt und liebengelernt.
»Ja, verdammt!«, sagte Stefan mit geleertem Mund und ließ Brötchen und Messer auf den Teller sinken. »Ich hab’s tatsächlich vergessen… Es ist doch erst ein Jahr her. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich die ganze Geschichte noch zusammenkriege.«
»Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, Stefan. Nachdem alles vorbei war, meine ich…«
»Ich hatte auch nie besonders große Lust dazu, wenn ich ehrlich sein soll«, erwiderte Stefan und machte sich wieder an sein Brötchen, dessen zweite Hälfte er jetzt mit Aprikosenmarmelade bestrich.
»Das glaube ich dir. Die Frage ist nur, ob das so gut ist.«
»Was soll das? Es ist vorbei. Die Gelforths sind tot und haben ihren Frieden gefunden. Hoffe ich zumindest…«
»Ja, du hast deine Aufgabe wirklich vortrefflich erfüllt.«
»Stimmt! Und mir dabei vor lauter Angst fast in die Hosen gemacht.«
»Davon habe ich gar nichts gemerkt!«
»Ich hätte es dir gerade noch auf die Nase gebunden!«
Sie schnellte nach vorne, um Stefan in den Arm zu knuffen. Dabei warf sie fast die Kaffeekanne um.
»Hey!«, protestierte Stefan mit halbvollem Mund.
»Du sollst mich nicht immer aufziehen!«, wetterte Sabine.
Stefan grinste und steckte Sabine damit an.
»Jetzt mal ernsthaft.«, sagte Sabine und der Tonfall ihrer Stimme verriet, dass sie es auch ernst meinte. »Wir haben, nachdem alles vorbei war, kein Wort mehr darüber verloren. Ich weiß gar nicht warum. Immerhin waren das die aufregendsten Tage meines Lebens.«
Stefan atmete schwer und brauchte einige Zeit, einerseits, um hinunterzuschlucken, andererseits, um seine Gedanken zu ordnen. Sabine ließ ihn.
»Ich glaube, weil ich es heute noch mit der Angst zu tun kriege, wenn ich daran denke«, sagte er. »Stell dir doch mal vor, du liegst in deinem Bett und kannst nicht schlafen, und plötzlich merkst du, dass ein Zombie an deinem Bett steht! Oder besser gesagt: Zwei Zombies!«
Sabine schluckte und schüttelte sich. Sie brauchte keine Worte, um den Schauer, der sie gerade überfallen hatte, mitzuteilen. Sie verzog angewidert das Gesicht.
»Und genau so war es, Sabine«, fuhr Stefan fort. »Es war fürchterlich! Ich… Ich weiß wirklich nicht, ob ich die ganze Geschichte noch zusammenkriege. Es…«
2
…hatte sich an einem Sonntag im August begeben, als Stefan Wollner vormittags aufgestanden war, auf seinen Balkon trat und sich gähnend die letzten Erinnerungsfetzen eines belanglosen Traumes aus den Augen rieb.
Die Sonne strebte dem Zenit entgegen und er genoss es, die aufgewärmten Fliesen unter seinen Fußsohlen zu spüren. Am Nachmittag würden sie so heiß geworden sein, dass man ohne Schuhe den Balkon nicht mehr würde betreten können, also blieb er noch ein ganzes Weilchen so stehen. Es war ein herrlicher Sommertag, wie man ihn sich vorzustellen hatte, mit Vogelgezwitscher, summenden Bienen und einer leichten Brise, die von Südosten herüberwehte und die Hitze des kommenden Tages erträglich machte. Und das Beste an der ganzen Sache war, dass Stefan endlich Urlaub hatte. Vier Wochen ohne Stress und Hektik, ohne ein Telefon, das nicht aufhören wollte zu klingeln, und ohne seinen Chef, der seine schlechte Laune lebte, als müsse er für etwas Freundlichkeit Steuern zahlen.
Stefan blinzelte zufrieden umher, als sein Blick an dem alten Ehepaar haften blieb, das es sich im Nachbargarten auf Liegestühlen bequem gemacht hatte. Die Stühle standen dicht beieinander. Der Mann war eingenickt. Seine Frau starrte beharrlich auf den Seerosenteich, in dem ab und an einige Luftblasen der Goldfische aufstiegen. Zögernd legte sie ihre Hand auf die seine. Auf dem Gartentisch neben ihnen stand eine Karaffe mit Saft, zwei halbleere Gläser und eine zusammengefaltete Tageszeitung. Alles in allem ein friedliches Bild, das perfekt zur Stimmung des Sommertages passte.
Stefan wusste nicht viel über seine Nachbarn, die Gelforths. Amalie hatte Stefan zum Einzug einen kleinen Präsentkorb geschenkt und ihn in der Nachbarschaft willkommen geheißen. Neben Olivenöl, Datteln und einer kleinen Statue fürs Regal, erinnerte sich Stefan an eine Gewürzmischung aus Nüssen und Samen, die Stefan in dieser Form noch nie zuvor gesehen und geschmeckt hatte. Ansonsten wusste Stefan nur das, was er in der Zeitung über sie gelesen hatte. Edvard Gelforth leitete eine Firma. Irgendwas mit Maschinenbau. Amalie, seine Frau, verbrachte wohl die meiste Zeit zu Hause. Es wurde viel über die beiden getuschelt. Man wusste jedoch nicht, was man glauben konnte. Angeblich verstanden sie sich gar nicht so gut, wie es nach außen hin den Anschein hatte. Offenbar hatte es auch Streitereien gegeben, des einzigen Sohnes wegen, der, wenn man der Klatschpresse Glauben schenken konnte, ein ziemliches Lotterleben führte.
Eines jedoch wusste Stefan genau: Den Sonntag verbrachten beide stets zu zweit im Garten. Sie stellten ihre Liegestühle hinaus und konnten Stunden damit zubringen, es sich unter einem Sonnenschirm gutgehen zu lassen, Zeitung zu lesen, sich bei einem Glas Saft an den Mußestunden des Lebens zu erfreuen. Sie konnten also nicht so schlimm sein. Irgendwie mochte er die zwei sogar, obwohl er sie kaum kannte.
Stefan wankte und fing sein Gleichgewicht mit einem Ausfallschritt. Ihm war plötzlich so merkwürdig schwindlig geworden, sodass er augenblicklich in den Schatten seiner Wohnung flüchtete. Einen Moment hatte er nur schwarze Flecken gesehen. Vermutlich die Sonne, deren doch schon angeschwollene Hitze durch die leichte Brise nicht mehr spürbar war. Das Wetter war tückisch und im Radio hatten sie vor hohen Ozonwerten gewarnt. Stefan setzte sich einen Moment hin und sammelte sich. Als er auf die Uhr blickte, erschrak er. Es war eine halbe Stunde vergangen, seit er aufgestanden, sich ein T-Shirt übergestreift und auf den Balkon getreten war. Seltsam, dachte er. Wie man doch die Zeit durch bloßes Sinnieren an sich vorbeirasen lassen kann.
Stefan verbrachte den Rest des Tages gemächlich. Eine erfrischende Dusche, ein spätes Frühstück und der obligatorische Sonntagnachmittags-Spielfilm vertrieben ihm die Zeit.
Gegen vier beschloss er auszugehen. Er zog sich die Jeans und ein frisches Hemd über und schlurfte zum Balkon, um die Tür zu schließen. Alles schien ruhig. Die Gelforths saßen immer noch auf ihren Liegestühlen. Amalies Hand lag immer noch auf Edvards. Beide waren eingenickt.
Wie man sich nach so vielen Jahren noch so nah sein kann, dachte Stefan bei sich, verschwendete einen seufzenden Gedanken an sein nicht vorhandenes Liebesleben, schloss die Balkontür und machte sich auf den Weg.
Als er spät abends nach Hause kam, sah Stefan schon von Weitem Blaulichter in der Straße blitzen. Menschen standen dicht gedrängt nur wenige Meter von seinem Haus entfernt. Er schenkte dem bunten Treiben weiter keine Aufmerksamkeit und parkte seinen Ford Fiesta in gemäßem Abstand, da er nicht zu den Menschen gehörte, die sich einer krankhaften Neugier wegen um eine Unfallstelle scharten. Etwas Schlimmes war passiert, womöglich ein Unfall. Für die Betroffenen war das hart genug. Niemand brauchte in solch einer Lage auch noch blutgieriges Publikum.
Stefan betrat seine Wohnung und sah einen hellen Lichtschein, der durch das Balkonfenster die Wohnzimmerdecke hell anstrahlte. Er schlich, ohne das Licht anzuschalten, zum Balkon und beobachtete eine Schar Polizeibeamter, die sich um zwei leere Liegestühle im Garten der Gelforths drückten. Überall steckten kleine schwarze Schilder mit Nummern im Gras und einige Männer in Zivil machten Fotos.
Stefan fragte sich, was dieser Aufmarsch zu bedeuten hatte. Es sah aus, als drehte man dort einen Tatort-Krimi. Aber eine dunkle Ahnung in Stefan wuchs, die sagte, dass es sich nicht um ein Spiel oder einen Film handelte. Es war tödlicher Ernst. Etwas Schreckliches war geschehen. Was war mit Gelfoths? War einem von Beiden etwas Schlimmes passiert? Waren sie überfallen worden? Ein Einburch? Irgendetwas in ihm wehrte sich dagegen, weiter darüber nachzudenken, und er ging zu Bett.
Am nächsten Morgen erwachte er mit dem seltsamen Gefühl, lebhaft geträumt zu haben, wusste jedoch nicht, worum es in dem Traum gegangen war.
Nach dem Aufstehen war sein erster Gang zum Balkonfenster. Er suchte mit seinen Blicken den Garten der Gelfoths ab. Keiner war zu sehen.
Aber das Sperrband um die Liegestühle und die schwarzen Schildchen, die jedes für sich noch an derselben Stelle wie am Vorabend steckten, verrieten ihm, dass es kein Traum gewesen war. Dass gestern tatsächlich etwas passiert war. Etwas Schlimmes…
Dennoch zog er sich an, um sich beim Bäcker frische Croissants für ein ausgiebiges Frühstück zu holen. Am Kiosk kaufte er eine Zeitung und schon ein Blick auf die Schlagzeile des Tages brachte ihm die schreckliche Gewissheit, dass der Krimi im Garten seiner dösenden Nachbarn entsetzliche Realität geworden war. Während des Frühstücks las er voller Bestürzung, dass ein Freund der Familie die beiden am Abend im Garten tot aufgefunden hatte. Ein unangemeldeter Besuch war zu einer Geisterbahnfahrt geworden. Es schüttelte ihn innerlich, denn wenn diesem Freund der Familie nicht die Idee gekommen wäre, den beiden einen Besuch abzustatten, wäre er es vielleicht gewesen, der die Polizei hätte rufen müssen. Aber etwas war noch viel schlimmer. Wenn die im Artikel genannte Todeszeit stimmte, dann war er es, der die beiden als Letzter lebend im Garten gesehen hatte, bevor sie beide friedlich eingeschlafen waren. Bevor sie ihre Hand auf seine gelegt hatte und damit ein Zeichen für die letzte gemeinsame Unternehmung gesetzt hatte. Ihre letzte gemeinsame Reise. Eine bizarre Vorstellung, die Stefan eine Gänsehaut über den Körper zog.
Wer das einschläfernde Gift in die Karaffe mit Saft getan hatte und warum, wusste niemand. Es gab viele Vermutungen und Gerüchte. Angeblich stand die Firma vor dem Konkurs. Amalie soll eifersüchtig gewesen sein, weil Edvard seiner Sekretärin mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte, als es sich für einen Mann seines Standes gehörte. Auch wurde der Sohn verdächtigt – aus der Zeitung war zu erfahren, dass sein Name Claus-Dieter war –, der Alleinerbe eines stattlichen Vermögens.
Claus-Dieter… Was für ein bescheuerter Name!
Selbst wenn es nicht gut mit der Gelforth GmbH gestanden hatte, so besaß die Familie dennoch genug Privatvermögen, um dem Sprössling ein angenehmes Leben zu ermöglichen. War er es gewesen, der diesen schrecklichen Mord begangen hatte? Letztlich schien es jedoch, als habe das alte Ehepaar sein Geheimnis mit ins Grab genommen.
Den ganzen Tag über konnte Stefan nur oberflächlich an andere Dinge denken als an das, was gestern geschehen war. Es hatte sich ein merkwürdiges, gedankliches Band zwischen ihm und den Gelforths gebildet, das er überhaupt nicht verstand. Eigentlich hatte er mit denen doch gar nichts am Hut gehabt. Er hatte sie im Garten liegen sehen.
Tot!
Und es war doch eigentlich wie immer gewesen. Dann versuchte er, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Tagtäglich kommt so etwas vor. Ältere Menschen sterben, auf die merkwürdigste Art und Weise. Ob Claus-Dieter seine Finger im Spiel hatte? Wer war der gute Bekannte, der die beiden gefunden hatte? Was war mit Edvards Sekretärin?
Hör auf, dachte Stefan, das geht dich doch überhaupt nichts an!
Er konnte es sich hundertmal an diesem Tag sagen. Es half nichts. Immer wieder stand er am Fenster und sah über den Balkon in Nachbars Garten, auf dieses gruslige Stilleben. Schließlich beschloss Stefan, früh ins Bett zu gehen.
In der Nacht lag er schließlich halb zugedeckt in den Laken und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Draußen strahlte die Stadt die angestaute Hitze des Tages wieder ab. Es war so drückend schwül, dass an ein Einschlafen nicht zu denken war. Der fahle Schein einer Straßenlampe schien ins Zimmer und tauchte es in ein düsteres Blau, das durch hundert Winkel, Ecken und Schatten gebrochen wurde.
Plötzlich hatte Stefan auch noch dieses blöde Gefühl, nicht allein im Zimmer zu sein. Als ob sich etwas unter seinem Bett verkrochen hätte und nur darauf wartete, dass er seinen Fuß unvorsichtigerweise unter der Decke hervorschob, um dann nach ihm zu greifen. Er setzte sich auf und tastete nach den Zigaretten auf dem Nachttisch, steckte sich eine Camel in den Mund und nahm das Feuerzeug. Plötzlich, im flackernden Schein der kleinen Flamme, für den Bruchteil einer Sekunde, sah er eine Gestalt in einer Ecke seines Zimmers stehen. Vor Schreck ließ er das Feuerzeug fallen, schnellte aus dem Bett hoch und strampelte panisch seine Decke zu einem unförmigen Klumpen am Fußende des Bettes.
»Scheiße, wer ist da? Was ist hier los?!«, schrie er.
Stefan suchte die Dunkelheit seines Zimmers ab, konnte aber nichts erkennen. Seine Augen waren durch die helle Flamme des Feuerzeugs kurzzeitig blind geworden. Erst langsam, als sie sich wieder an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte er eine schemenhafte Gestalt in der Ecke des Zimmers. Nur undeutlich, aber tatsächlich… da war jemand, der regungslos dastand und ihn anzustarren schien.
»W-w-wer sind Sie? W-w-wie kommen Sie hier herein?«
Keine Antwort. Ein Rascheln in einer anderen Ecke des Zimmers. Stefan wirbelte herum. Eine zweite Gestalt trat aus dem Dunkel und kam auf ihn zu, etwas kleiner und gedrungener als die Erste.
Das Licht! Ich muss das Licht anknipsen, fuhr es ihm durch den Kopf. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Die Lähmung, der Schock… Er tastete nach dem Lichtschalter.
»HALT!«, befahl eine Stimme aus dem Nichts, deren Schall von unsichtbaren Wänden zurückgeworfen wurde.
»Wer sind Sie? Was um Gottes Willen wollen Sie von mir?«
»Wir brauchen deine Hilfe, Stefan…«
Eine Frauenstimme. Er hatte eine kränkliche Frauenstimme erkannt. Die andere war tiefer, gewaltvoller gewesen. Die Stimme eines Mannes, dem man besser nicht widerspricht.
»Wer sind Sie? Was um Gottes Willen wollen Sie von mir? UND WIE SIND SIE VERDAMMT NOCHMAL HIER HEREINGEKOMMEN?!«, schrie er.
»Du hast uns zuletzt gesehen… Du hast an uns gedacht«, brummte die Männerstimme, die der ersten, größeren Gestalt zu gehören schien.
»Du hast mit uns gefühlt… mit uns gelitten…«, fügte die Frauenstimme hinzu.
»WAS HAB ICH!?«
Das, was sich vor seinen Augen abspielte, konnte nicht real sein. Die Gestalten schwebten durch den Raum. Vor seinem Bett. Es musste ein böser Traum sein oder der Beginn einer halluzinatorischen Psychose. Einbildung… ein Traum… weiter nichts, sagte sich Stefan. Kein Grund zur Beunruhigung. Er war sich jedoch sicher, jeden Moment in einem Schreikrampf zu kollabieren.
»Du weißt, wer wir sind…«
Stefan versuchte sich zu fangen, den murmelgroßen Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Dann… nach einer kleinen Ewigkeit.
»Edvard und Amalie?«, flüsterte Stefan zitternd, erschrak über die Worte, die wie von selbst über seine Lippen gekommen waren und klammerte sich mit einer Hand an den Bettpfosten.
»Ja… Du hast recht. Und du musst uns helfen! Es ist etwas sehr Schlimmes geschehen.«
»Ihr seid tot… Ihr dürftet nicht hier sein.«
»Wir sind tot. Aber doch nicht ganz.«, sagte die eine Gestalt.
»Du musst uns helfen… Stefan… du bist unsere einzige Hoffnung!«, sagte die andere.
»Warum ich?«
»Du hast uns als Letzter lebend gesehen. Du hast gesehen, wie wir eingeschlafen sind. Du hast an uns gedacht!«
»Und was soll ich jetzt machen?«
»Geh in die Firma… Dort wirst du den finden, der für das Verbrechen verantwortlich ist…«
»Das kann ich nicht!«
»Du kannst… Frage nach ANUBIS!«
»Nein… Hey… Wo wollt ihr hin…? Bleibt mir bloß vom Leib! Nicht!«
Die Gestalten schwebten langsam auf ihn zu. Doch je näher sie kamen, desto schemenhafter wurde ihr Antlitz, desto durchsichtiger ihre schlaffen Leiber. Stefan wollte schreien, aber der Kloß in seinem Hals war auf die Größe eines Tennisballs angeschwollen, was jegliches Sprechen oder Schreien unmöglich machte. Sie kamen näher und näher, schienen plötzlich durch ihn hindurchzugehen. Stefan spürte einen kalten Schauer, der ihn für den Bruchteil einer Sekunde streifte. Eine kühle Brise, die durch seine Eingeweide strich.
Er hatte noch erkennen können, wie sich die Gestalten die Hände gereicht hatten, bevor sie im Nichts verschwunden waren. Stefan tastete mit zittrigen Fingern nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste sie an. Das Zimmer war leer. Niemand war zu sehen. Jeder Muskel seines Körpers schien bis zum Zerreißen angespannt. Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen und er kippte seitwärts auf sein Bett, wo er in die undurchdringliche Schwärze einer Ohnmacht verfiel. Am nächsten Morgen erwachte er, erschrak im Aufwachen und dachte als Erstes: Was für ein beschissener, kranker Traum!
3
Rotebühlplatz – Stadtmitte hieß die Haltestelle, von der aus sein Ziel in fünf Minuten zu Fuß zu erreichen war: das Verwaltungsgebäude der Gelforth-Maschinenbau GmbH. Das Hochhaus war erst vor knapp sechs Jahren gebaut worden. Stefan erinnerte sich vage. Damals hatte es ziemlichen Streit um die riesenhafte Anlage gegeben. Für die einen verschandelte das zwölf Stockwerke hohe Monstrum den Stadtkern, für die anderen handelte es sich um eine architektonische Glanzleistung. Stefan stand vor dem Haus und fühlte sich wie David, der gerade beschlossen hatte, gegen Goliath anzutreten. Immerhin hatte der biblische Hirte gegen seinen übermächtigen Widersacher gesiegt. Ob er, Stefan Wollner, Büroangestellter, Schreibtisch Nummer 7 hinten links, es schaffen würde, in dieses Haus zu gehen, um ein Verbrechen aufzuklären, schien im Moment von seinen zittrigen Knien abzuhängen.
Er dachte nach. Den ganzen Morgen schon tat er das. Und immer wieder kreisten seine Gedanken um dasselbe hoffnungslose Thema: Wie um alles in der Welt sollte er diesen haarsträubenden Auftrag erfüllen? Er wusste nicht einmal, ob die Erlebnisse der vergangenen Nacht Wirklichkeit oder nur ein Produkt seines übermüdeten Geistes waren.
Das war doch nur ein Traum. Was mache ich eigentlich hier?
Hinzu kam das beinahe ständige Gefühl, beobachtet zu werden. Mehrmals hatte er dem Zwang nachgegeben, sich rasch umzudrehen, nachdem er immer wieder über seine rechte Schulter geblinzelt hatte. Doch kein einziges Mal hatte er etwas Ungewöhnliches bemerkt. Meist war es, als wechsle sein unsichtbarer Verfolger genau in dem Moment die Position, wenn er sich drehte, um dann wieder hinter ihm zu lauern. Den ganzen Morgen schon hatte er damit verbracht, sich selbst zum Warten zu bewegen, alles noch einmal zu durchdenken, bis sich eine Erklärung für die Zwischenfälle gefunden hatte. Doch eine Erklärung schien es nicht zu geben, nur den seltsam unwiderstehlichen Drang, sich anzuziehen und sich auf den Weg zu machen.
Er hatte sich vorgestellt, wie er einfach an den Empfang gegangen war und mit lauter und fester Stimme verkündete:
»Guten Tag, mein Name ist Wollner. Edvard und Amalie Gelforth sind mir gestern in meinem Schlafzimmer erschienen. Sie sagten, ich solle hierherkommen, um mir ihren Mörder vorzuknöpfen. Ja, und nach dem, was sie mir gestern gesagt haben, sitzt er hier irgendwo im Haus und wartet nur darauf, von mir entlarvt zu werden!«
Und genau das würde er dann sehr oft sagen müssen: dem Pförtner, der Polizei, dem Nervenarzt, zu dem man ihn bringen würde, und vielleicht einem Pflichtverteidiger. Letztlich – und diese Vorstellung brachte ihn wirklich um den Verstand – seinen Verwandten und Freunden, die ihn schließlich in der Klapsmühle bseuchen würden.
Sollte er wirklich gehen? Sollte er sich dieser Lächerlichkeit aussetzen und mit so einer verrückten Geschichte vor die Leute treten? Ein lebhafter Traum war das, mehr nicht! Ein lebhafter Traum. Das kann doch jedem passieren. Ich glaube nicht an Geister. Ich sollte in die Eisdiele gehen und mir einen Cappuccino bestellen. Meinen Urlaub genießen. Ja, genau das mache ich!
Aber erst mal schaue ich mir dieses Ding von innen an!
Stefan marschierte los und verschwand im Bauch des Monstrums.
Die Eingangshalle war mit Marmorboden ausgelegt und an den Wänden hingen Bilder, auf denen man nicht erkennen konnte, was der Maler eigentlich hatte darstellen wollen. Hinter dem Informationsschalter hing eine riesige Tafel mit Namen und Abteilungsbezeichnungen und wie diese auf die einzelnen Stockwerke verteilt waren. Der Pförtner – oder wie immer man diesen gut gekleideten, gesetzten Herrn nennen wollte – musterte Stefan misstrauisch. Der steinerne Blick dieses Wachpostens passte zu dem massiven Marmortresen, der auf Stefan wie eine uneinnehmbare Festung wirkte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der ältere Herr mit jovialem Lächeln.
»Ja… ähm… ich wollte bitte Frau Lichtenberg sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Ja… wir sind alte Bekannte. Ich bin ein Freund ihrer Familie. Das heißt… Sie hat mich schon als Kind gekannt. Sie ist meine… ähm… meine… Tante!«
Um Himmels willen, dachte Stefan und schluckte. Aber etwas Besseres war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen. Er hatte die Tafel gesehen, auf der ganz oben nur »Direktion E. Gelforth – Chefsekretariat Fr. Lichtenberg« gestanden hatte. Was hätte er denn sagen sollen? Immerhin war seine Menschenkenntnis bis jetzt nicht von schlechten Eltern gewesen. Fr. Lichtenberg, Chefsekretärin… Dabei konnte es sich nur um eine stramme alte Jungfer mit der Mentalität eines Gardeoffiziers der Jahrhundertwende handeln. Gibt es etwas Schlimmeres, als so eine Tante zu haben? Vielleicht hatte der Pförtner jetzt Mitleid mit ihm.
»Der Neffe von Fr. Lichtenberg?«
»Ja, genau…«
Der Pförtner blickte plötzlich misstrauisch zu Stefan, als ein kleiner, gedrungener Mann in einem dunkelgrauen Nadelstreifenanzug sich an Stefan vorbei schob und den Pförtner ansprach.
»Morgen, Herr Grasser. Ist Herr Gelforth schon im Haus?«
Als Stefan Luft holte, um etwas zu sagen, wandte sich Grasser dem Geschäftsmann zu, dessen volle Aufmerksamkeit nun auf ihn gerichtet war.
»Guten Morgen, Herr Katschmann. Ja, Herr Gelforth ist bereits seit einer halben Stunde im Haus.«
»Sehr gut!« sagte er , hielt plötzlich inne und musterte Stefan von Kopf bis Fuß mit misstrauischen Blicken, die Dinge sagten wie: Was ist denn das für einer? Was zur Hölle hat dieses Subjekt denn hier verloren? Und dann wurde Stefan schlecht. Er fühlte sich plötzlich wie ertappt. Er spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete und sein Magen krampfte.
Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Er konnte hier richtig Ärger bekommen, wenn es dumm lief. Der Nadelstreifenheini ließ mit seinen Blicken von ihm ab und ging zu einer der Fahrstühle. Stefan wurde schwindlig. Grasser der Pförtner riss ihn aus seinen Gedanken.
»Junger Mann… Wenn Sie von der Presse sind, so darf ich Ihnen sagen, dass heute Nachmittag um vierzehn Uhr eine Pressekonferenz stattfindet, bei der die neuen Amtsverteilungen und Beschlüsse der vorläufigen Geschäftsleitung, sowie ein ausführlicher Bericht zu den gestrigen Ereignissen bekannt gegeben werden. Exklusivinterviews sind in Anbetracht der Sachlage nicht vorgesehen.« Grasser spulte offensichtlich eine auswendig gelernte Phrase ab.
»Nein… Ich möchte nichts in dieser Richtung. Mein Name ist Wollner.«
»Das sagten Sie bereits!«
»Und ich möchte Fr. Lichtenberg in einer familiären Angelegenheit sprechen!«
»Dann muss ich Sie bitten, das auch in einem privaten Rahmen zu tun. Frau Lichtenberg ist im Moment mehr als beschäftigt. Sie verstehen sicher, dass ich sie im Augenblick nicht anmelden kann. Ferner möchte ich Sie bitten, unser Haus nun zu verlassen. Wenn Sie möchten, hole ich gerne jemand, der Sie hinaus begleitet.«
»Schon gut. Ich gehe. Es… Es war mir ein Vergnügen. Danke auch!«
Der Pförtner nickte und setzte wieder sein joviales Lächeln auf.
Stefan ging.
Das Monstrum spuckte ihn aus, so wie es ihn verschlungen hatte. Stefan ging zu einer der Parkbänke und setzte sich. Nach einigen Minuten hatte sich sein Magen beruhigt. Sein Schwindel war verflogen. Doch da war immer noch dieses seltsame Gefühl, dass sie ganz in seiner Nähe waren – die Gestalten der letzten Nacht. Und er war sich sicher, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen würden, bis er erreicht hatte, was sie von ihm verlangten. Nur wie?!
Da geh ich nicht mehr rein.
Stefan verschob jede weitere Aktion. Er beschloss, in eine Eisdiele zu gehen, weil sich der Gedanke irgendwie nach Urlaub anfühlte.
4
Als das Telefon klingelte, kam Sabine Lichtenberg gerade aus der Dusche, wo sie vergeblich versucht hatte, den Stress des Tages von sich abzuspülen. Wenigstens fühlte sie sich jetzt äußerlich erfrischt. Sie ließ sich auf dem Sofa nieder und beschloss, den Apparat einfach klingeln zu lassen. Es würde ohnehin nur irgendein schmieriger Schreiberling sein, der Jagd auf eine Sensationsstory machte. Oder ihre Mutter, die immer alles ganz genau wissen wollte. Oder vielleicht… Nein, mit Claus-Dieter wollte sie jetzt am allerwenigsten reden. Ansonsten kannte sie nicht viele Leute in der Stadt. Ihr Beruf ließ ihr kaum Zeit für zwischenmenschliche Beziehungen, was auch immer man darunter verstehen mochte. Das Band schaltete sich ein und zum hundertsten Mal fragte sich Sabine, ob das wirklich ihre Stimme war, die sie da hörte…
»Guten Tag! Sie sind verbunden mit dem Anschluss von Sabine Lichtenberg. Ich bin leider im Moment nicht zu Hause, aber wenn Sie wollen, können Sie nach dem Signalton Ihre Nummer und eine Nachricht hinterlassen. Ich werde Sie dann umgehend zurückrufen. Piiieeeeeeeep.«
»Guten Abend, Frau Lichtenberg. Mein Name ist Wollner… ähm… Stefan Wollner«, hörte sie eine nervöse Männerstimme sagen. »Ich würde Sie gerne in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Es geht um Amalie und Edvard Gelforth. Sie waren Nachbarn von mir. Ich hatte da ein seltsames Erlebnis, und wenn Ihnen vielleicht der Begriff ANUBIS etwas sagt, dann wäre es gut, wenn Sie mich zurückrufen könnten. Meine Nummer ist…«
»Sabine Lichtenberg!«, hatte blitzschnell zum Hörer gegriffen. Etwas, das dieser Jemand am anderen Ende der Leitung wusste, hatte jegliche Redefaulheit weggewischt.
»Oh… Sie sind doch da… Ja, mein Name ist Wollner. Ich…«
»Sie sprachen es bereits aufs Band, Herr Wollner. Woher haben Sie diese Information? Und was wollen Sie von mir?«
»Information?«
»ANUBIS! Was wissen Sie darüber? Falls Sie finanzielle Interessen haben, dann…«
»Nein! Um Gottes Willen. Nichts dergleichen. Ich möchte mit Ihnen über die Gelforths sprechen. Sie sind ermordet worden.«
»Ach?! Wirklich…? Da erzählen Sie mir nichts Neues, Herr Wollner.«
»Ja, schon… Aber der Mörder sitzt vermutlich in Ihrer Firma! Hören Sie, Frau Lichtenberg? Können wir uns vielleicht treffen?«
Sabine zögerte und spielte aufgeregt mit der Schnur des Telefons.
»Also gut. Wann und wo?«
»Wir könnten essen gehen! Ähm… Heute Abend vielleicht, wenn Sie nichts Besseres vorhaben. Da gibt es ein italienisches Restaurant, es heißt Amalfi und ist in der Nähe von…«
»Ich weiß, wo das ist.«
»Wie wäre es dann um acht?«
»In Ordnung. Um acht im Amalfi. Wie erkenne ich Sie?«
»Ich werde einen Tisch für Wollner reservieren lassen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Gut. Dann bis um acht.«
»Bis dann.«
Sabine war auf ein Rendezvous mit einem Unbekannten nicht vorbereitet. Eigentlich hatte sie vorgehabt, früh zu Bett zu gehen. Aber unter diesen Umständen war es ihr mehr als lieb, dass dieses unselige Treffen so bald wie möglich stattfand. Was wusste dieser Kerl? Und woher wusste er es? Die einzigen, die von ANUBIS wussten, waren die Gelforths gewesen, sie selbst, wenige Mitglieder der Geschäftsleitung und die Männer, die an dem Projekt arbeiteten. Und Claus-Dieter natürlich. Der wusste auch davon. Auch wenn er nicht so oft in der Firma war und es ihn im Grunde einen feuchten Kehricht interessierte. Sabine warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte.
Nachdem Stefan den Hörer aufgelegt hatte, wusste er nicht, ob das, was er da vorhatte, wirklich dem entsprach, was man als vernünftig hätte bezeichnen können. Vernünftig wäre es gewesen, wenn er sich nach dieser Horrornacht bei einem guten, sehr guten Psychiater gemeldet und einmal über all seine Probleme gesprochen hätte. Aber über welche hätte er reden sollen? Eigentlich ging es ihm prima. Die üblichen Alltagsgeschichten vom Stress im Büro über die mangelnde Freizeit bis zur Frau seines Lebens, die bis heute noch nicht aufgetaucht war. Es gab nichts Besonderes, worüber man hätte sprechen müssen. Und so belastend war sein Job nun auch nicht. So einsam und trist kam ihm sein Leben auch nicht vor, dass er sich Sorgen gemacht hätte. Aber vielleicht hätte ihm der Doktor eine Erklärung für die Geister in seinem Schlafzimmer geben können.
Du bist der Einzige, der uns helfen kann!
Vielleicht hätte der Doktor einen guten Rat gewusst. Aber irgendetwas schien an der ganzen Geschichte dran zu sein, sonst hätte Jungfer Lichtenberg nicht plötzlich abgehoben und sich Gedanken über erpresserische Aktionen gemacht. Warum war ANUBIS so geheim und warum waren die Gelforths jetzt tot? Fragen, die sich bei einer Pizza wunderbar besprechen ließen, dachte sich Stefan und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
5
Die »alte Jungfer« war nun schon eine Viertelstunde überfällig und wenn Stefan etwas nicht leiden konnte, dann waren es Frauen, die zu spät kamen. Es erinnerte ihn an Carola, seine letzte Freundin, die sich grundsätzlich fünfmal umgezogen hatte, bevor sie sich vor den Spiegel stellte, um sich dann ihr Make-up eimerweise aufzutragen. Stefan hatte sie danach nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen anfassen dürfen. Womöglich hätte er ihr Haar durcheinandergebracht oder ihren Lippenstift verschmiert. Es hatte nicht gut gehen können. Seit über einem Jahr hatte Stefan keine feste Beziehung mehr gehabt. Geschweige denn ein Date.
Eine junge Frau betrat die Pizzeria. Sie war schlank und hatte schulterlange, dunkelblonde Haare. Ihr Kostüm war elegant, dennoch wirkte sie nicht überkandidelt. Sie kundschaftete das Lokal mit vorsichtigen Blicken aus, als ein Kellner sie ansprach. Sie flüsterte ihm etwas zu und Stefans Herz begann wild zu pochen, als der Kellner auf seinen Tisch deutete. Jungfer Lichtenberg entpuppte sich als eine attraktive Frau Mitte zwanzig. Stefan spürte den Impuls, wieder an Märchen zu glauben.
»Herr Wollner?«, fragte sie und beugte sich leicht vor. Stefan war aufgestanden und hielt ihr wie automatisiert die Hand hin.
»Ja… Stefan Wollner. Frau Lichtenberg?«
Sie nickte nur. Stefan bot ihr einen Platz am Tisch an.
»Danke sehr.«
»Möchten Sie… Ich meine, was möchten Sie trinken?«
»Herr Wollner, ich möchte von vornherein klarstellen, dass ich nicht zum Vergnügen hier bin. Sie haben am Telefon etwas angesprochen, das normalerweise eine Geheimsache ist. Ich möchte nur sichergehen, dass sie auch geheim bleibt.«
»Ich werde Ihnen alles erzählen. Glauben Sie mir, je eher ich die Sache vom Tisch habe, desto lieber ist es mir. Dennoch glaube ich nicht, dass Sie die Zeit, die wir hier sitzen werden, ohne einen Schluck Wein oder etwas anderes verbringen möchten. Ich will Ihnen weder zu nahe treten, noch etwas Geheimes publik machen, noch ein Interview wegen der… Unglücksfälle im Hause Gelforth.«
Sabine hatte es einen Moment lang die Sprache verschlagen. Doch es gehörte zu ihrem Job, auch die schwierigsten Situationen mit psychischer Stärke zu meistern.
»Also gut, dann einen Frizzantino bitte.«
Nachdem Stefan bestellt hatte, begann er ohne Umschweife, der »alten Jungfer«, die sich in eine liebreizende Prinzessin verwandelt hatte, die ganze Geschichte zu erzählen. Als er geendet hatte, starrte sie ihn nur mit großen…
wundervollen
…Augen an und sah aus, als wisse sie im Moment nicht, ob sie sich vor Lachen krümmen oder beim Kellner einen Krankenwagen bestellen sollte.
»Ich weiß, dass es sich verrückt anhört, aber…«, haspelte Stefan.
»Schon gut. Ich muss damit erst mal klarkommen.«
Stefans Eindruck traf tatsächlich zu. Sabine überlegte, was sie mit diesem Kerl jetzt noch anfangen sollte. Er schien tatsächlich verrückt zu sein, auch wenn er auf eine gewisse Art ganz nett zu sein schien. Er war anders als…
Claus-Dieter?
…die anderen Männer, die sie in den letzten Jahren kennengelernt hatte. Aber Geister? Edvard und Amalie als schwebende Wesen in einem fremden Schlafzimmer? Sie musste sich ein Grinsen verdrücken.
»Was denken Sie?«, fragte Stefan voller Ungeduld.
»Ich denke, wenn Edvard und Amalie Gelforth zu Lebzeiten in fremden Schlafzimmern umhergegeistert wären, wäre das ein echtes Fressen für die Presse gewesen.«
Als wäre dies ihr Stichwort, begannen beide plötzlich loszulachen. Stefan fiel ein Felsbrocken vom Herzen und jegliche Anspannung schien auf einmal wie verflogen zu sein.
Sabine hielt sich die Serviette vor den Mund und schielte mit schmalen Augen zu Stefan, dem vor Lachen dicke Tränen über die Wangen liefen. Sie hatte schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht. Es tat gut, mit einem Mann zu lachen, der vielleicht ein bisschen verrückt war, aber im Grunde ein netter Kerl zu sein schien.
»Sagen Sie mal«, fragte Stefan. »Haben Sie Hunger?«
Sabine überlegte.
»Ich habe tierischen Hunger!«, sagte sie und beide fingen wieder an zu lachen. Groteskerweise wusste keiner von beiden warum. Aber die Spannung zwischen ihnen löste sich. Für einen Moment vergaß Stefan das letzte Quäntchen Angst und legte einen Augenblick seine Hand auf Sabines, zog sie jedoch gleich wieder zurück, als hätte er eine heiße Herdplatte berührt. Er tat, als wäre es nicht geschehen oder hätte zumindest keinerlei Bedeutung gehabt. Im selben Moment war ihr jedoch ein Schauer über den Rücken gelaufen, der ihr nicht unangenehm war. Stefan winkte dem Kellner und der brachte ihnen zwei Speisekarten.
Während des Essens gab es keine Gelforths, keine schemenhaften Gestalten und keinen…
Claus-Dieter?
…tristen Arbeitsalltag. Sie hatten, ohne sich darüber bewusst zu sein, das Thema gewechselt und unterhielten sich über Hobbys, Literatur und welche Urlaubsländer die eindrucksvollsten Erinnerungen hinterlassen hatten. Stefan erzählte von seiner Familie und welche Streiche er den Nachbarn gespielt hatte. Natürlich erzählte er ihr auch die Geschichte mit dem Pförtner, dem er doch tatsächlich hatte weismachen wollen, diese hübsche junge Frau sei seine Tante. Jetzt verstand Stefan natürlich auch die Reaktion des alten Herrn. Tante, klar.
Sabine erzählte Stefan, dass der Portier Grasser hieß. Sie erzählte Stefan auch von ihren Lieblingsfilmstars und in welche Lehrer sie als Schülerin verliebt gewesen war. Die seltsame Vertrautheit, die zwischen den beiden binnen weniger Stunden entstand, die sie alles um sich herum vergessen ließ, schien etwas ganz Besonderes zu sein, an dem sie scheinbar beide unbewusst festhalten wollten, solange wie möglich. Doch irgendwann kamen die Gestalten der Nacht wieder und brachten Anspannung in die Unterhaltung.
»Jetzt haben wir gar nicht mehr über Edvard und Amalie gesprochen«, sagte Stefan und nippte an seinem zweiten Espresso.
»Das stimmt. Vermutlich, weil es ein ziemlich trauriges Kapitel ist. Und weil sich das alle ziemlich verrückt anhört.« Sabines Ton wurde ernster.
»Sabine…«, sagte er zögerlich. »Was ist ANUBIS?«
Sabine holte tief Luft, überlegte einen Moment und warf die Pflicht zur Geheimhaltung über Bord. Das war kein Reporter, also was sollte es?
»ANUBIS ist ein Projekt, oder besser gesagt ein Verfahren… zur Stahlgewinnung. Die Verarbeitung und das Recycling von Stahlschrott wären um ein Vielfaches verbessert. Außerdem rostet der nach dem ANUBIS-Verfahren behandelte Stahl erheblich langsamer. Die Testreihen, die gemacht wurden, sind anscheinend bahnbrechend. Ein Millionengeschäft! Das angemeldete Patent soll Gelforth-Maschinenbau wieder auf die Beine bringen.«
»Eine Maschinenbaufirma, die sich mit Verfahren zur Stahlgewinnung beschäftigt?«
»Die Absätze sind in den letzten vier Jahren rapide gesunken. Eine besondere Entwicklungsabteilung sollte nach neuen Möglichkeiten suchen, Geld zu verdienen. Dabei stieß man auf die ANUBIS-Formel.«
»Und wer hat jetzt etwas davon? Ich meine, nachdem Edvard und Amalie tot sind?«
»Verschiedene Investoren, die an dem Projekt finanziell beteiligt sind, und…« Sabine zögerte.
»Ja?«
»Claus-Dieter Gelforth.«
»Der alleinige Erbe des Imperiums.«
»Imperium ist wohl etwas übertrieben.«
»Na immerhin…«
»Ich bin müde, Stefan. Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir für heute Schluss machen? Ich brauche dringend eine Mütze voll Schlaf.«
»Wenn du mir versprichst, dass wir nur für heute Schluss machen. Ich würde dich gern wiedersehen.«
Sabine lächelte verhalten und zögerte einen Moment. Schließlich sagte sie: »Ja, das wäre schön…«
6
Stefan erwachte gegen drei Uhr. Er hatte sich vorgenommen, wach zu bleiben, war aber doch über einem Krimi eingeschlafen, den er eigentlich lesen wollte, um sich wachzuhalten. Es hatte nicht geholfen. Als er schweißgebadet aufwachte, gab es keinen Übergang vom Schlaf zur Wachheit – er war sofort voll da und spürte, dass er nicht allein im Zimmer war.
Sie sind wieder da.
Edvard und Amalie, oder das, was von ihnen übrig war, standen in der Zimmerecke, zwei Meter vom Fuß seines Bettes entfernt. Es war genau wie beim letzten Mal. Die eine Gestalt war größer und massiger als die andere. Beide schwebten leicht über dem Boden. Ihre schlaffen, leblos erscheinenden Körper wiegten sanft auf und ab. Bei näherer Betrachtung konnte Stefan einen schwachen, lavendelfarbenen Schimmer erkennen, der die Gestalten wie eine Aura umgab. Dort, wo ihre Augen sein sollten, glühten rote Punkte wie winzige Kohlen.
Stefan schluckte schwer. Sein Herz pochte so laut, dass er glaubte, es müsse die Gestalten ebenso bedrängen wie ihn selbst.
»Was wollt ihr?«, fragte er mit heiserer Stimme, kaum mehr als ein Flüstern.
»Du hast gehandelt, wie wir es dir gesagt haben«, antwortete die tiefere, männliche Stimme.
»Und? Ich habe nichts erreicht!«, stieß Stefan hervor, seine Stimme zitterte.
»Du bist auf dem richtigen Weg. Der Weg, der zur Wahrheit führt!«, sagte die weibliche Stimme, diesmal etwas sanfter, aber nicht weniger eindringlich.
»Sonst noch was?«, fragte Stefan, seine Panik mühsam in Sarkasmus kanalisiert.
»Gehe und suche den Mann, der sich als Vater behauptet und sich als Sohn entpuppt!«
»Claus-Dieter?«
»Wen immer du findest…«, sagte die männliche Stimme.
Die kleinere Gestalt schwebte seitlich hinüber und legte ihre durchscheinende Hand auf die der größeren. Dann kamen sie näher. Stefan schrie:
»Nein! Hört auf… Lasst mich in Ruhe!«
Er kniff die Augen fest zusammen und zog den Kopf tief in die Schultern. Ein kalter Schauer durchfuhr seinen Körper, als würde er von eisigem Nebel umhüllt. Es war, als gleite etwas durch ihn hindurch. Als er die Augen öffnete, waren sie verschwunden. Diesmal fiel er nicht in Ohnmacht, aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sein Herzschlag sich beruhigte, um in einem oberflächlichen, unruhigen Schlaf zu versinken.
7
»Ich glaube, Claus-Dieter Gelforth hat etwas mit dem Mord zu tun!«, sagte Stefan und schenkte Sabine ein Glas Wein ein.
»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen«, entgegnete Sabine und lehnte sich zurück. Einer inneren Stimme folgend hatte sie die Einladung des jungen Mannes, den sie eigentlich kaum kannte, der ihr aber dennoch seit dem gestrigen Abend so vertraut schien, angenommen. Nicht nur, weil sie fand, dass er ein wirklich netter Kerl war, sondern weil sie inzwischen, nach einer schlaflosen Nacht, genauso an einer Aufklärung des Falles Gelforth interessiert war. So saßen sie auf dem dunkelbraunen Ledersofa in seinem Wohnzimmer und redeten
»Kennst du ihn näher?«
»Claus-Dieter?«
»Ja!«
Sabine stockte. Kannte sie ihn? Konnte überhaupt jemand behaupten, diesen Windhund zu kennen?
»Wir hatten ein Verhältnis!« Sabine würgte, als hätte sie sich an dem Wort Verhältnis verschluckt. Stefan sagte nichts. Er starrte sie nur fassungslos an.
»Du brauchst gar nicht so zu schauen«, setzte sie rasch nach. »Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich als Chefsekretärin hochrappeln, um sich dann den Sohn vom Boss zu angeln. Wir waren nur etwa 6 Monate zusammen.«
»Hab´ ich auch nie behauptet«, sagte Stefan wie beiläufig und nippte an seinem Glas. »Aber dann kennst du ihn also doch besser.«
»Nun ja… zwangsläufig!«
Stefan nickte und tat so, als würde es ihm nicht das Geringste ausmachen, dass vor ihm die Ex-Freundin des Gelforth-Erben saß. Natürlich machte ihm das etwas aus. Er hätte diesem Mistkerl am liebsten den Hals umgedreht. Wie konnte man eine solche Frau sitzen oder gehen lassen? Gleichzeitig konnte er nicht leugnen, erleichtert darüber zu sein, dass es zwischen den beiden nicht funktioniert hatte.
»Traust du ihm einen Mord zu?«, fragte er unverblümt.
»Wem? Claus-Dieter? Nein! Alles… aber das?«
»Warum seid ihr nicht mehr zusammen?«
»Entschuldige, aber das geht dich nichts an, ok?«
Stefan schwieg. Es ging ihn wirklich nichts an.
»Edvard sagte letzte Nacht etwas von einem Mann, der sich als Vater ausgibt und als Sohn entpuppt.«
»Und was bitte soll das heißen?«
»Nun… Der Vater ist der Chef im Hause. Es sollte wenigstens so sein.«
»Chauvi!«
»Nein! So mein’ ich das doch nicht.«
Sabine grinste.
»Ich meine die Firma«, sagte Stefan und setzte sich neben Sabine. »Der Chef. Wer ist der neue Chef?«
»Auf dem Papier ist es Claus-Dieter!«
…den Mann der sich als Vater behauptet und als Sohn entpuppt…
»Und in Wirklichkeit?«
Wen immer du findest.
»Claus-Dieter und der Rest der Geschäftsleitung! Es gibt da noch einen Prokuristen und einige leitende Leute. Ich denke darüber wird jetzt erstmal verhandelt. Das ist nicht so einfach…«
»Ok…Die gesamte Geschäftsleitung hat sicherlich kein Mord-Komplott inszeniert.«, murmelte Stefan.
»Das glaube ich auch nicht. Bekomme ich noch einen Schluck?«
Stefan nahm die Flasche und schenkte nach.
»Dann muss es Claus-Dieter gewesen sein. Er ist jetzt sozusagen der Vater des Unternehmens und doch eigentlich der Sohn.«
»Ich weiß nicht.«
»Wir müssen ihn zur Rede stellen!«
»Ach ja?« Sabine verschluckte sich fast.
»Ich komme morgen in die Firma. Was meinst du?«
»Natürlich, Stefan. Und wie willst du an Grasser vorbeikommen?«
»Dem Portier? Ich werde mit dir mitkommen! Wir werden beide in einer äußerst dringenden Angelegenheit Herrn Claus-Dieter Gelforth sprechen müssen.«
»Und du meinst, das haut hin?«
»Warum seid ihr nicht mehr zusammen?«
Sabine, die Stefan auf eine sehr vertraute Weise nahe gerückt war, rutschte wieder ein Stück weg von ihm und presste die Lippen zusammen.
»Jetzt sei nicht gleich sauer, ja? Ich will nur ein bisschen mehr von dir wissen«, schob Stefan eilig nach.
»Kannst du mich dann nicht nach was anderem fragen?«
»Komm schon. Was ist passiert?«
»Er hat es mit der Treue nicht so genau genommen. Es war auf einer seiner Segeltouren, als er sich mit so einem Schickimicki-Flittchen eingelassen hat.«
»Und deswegen hast du Schluss gemacht?«
»Nein, ich habe ihm gratuliert und einen Blumenstrauß überreicht! NATÜRLICH HABE ICH DESWEGEN SCHLUSS GEMACHT!«
Stefan grinste und unterdrückte ein Lachen. Plötzlich konnten sie beide nicht anders und brachen in lautes Gelächter aus. Sie lachten, und Stefan legte freundschaftlich seinen Arm um sie. Dann hörten sie plötzlich auf zu lachen und schauten sich nur an. Das Lächeln in Sabines Gesicht verschwand, als er sich ihr langsam näherte. Er sah die Angst in ihren Augen – die Angst davor, einen Mann zu küssen, den sie so gut wie überhaupt nicht kannte. Doch gleichsam sah er ihr Verlangen. Das Verlangen ihrer halb geöffneten Lippen, die jetzt nichts mehr wollten, als dass die seinen sich darauf schmiegten. Dann kam er noch ein Stückchen näher, und sie versanken ineinander. Es war, als würden sie sich schon eine Ewigkeit so nahe sein.
Doch plötzlich unterbrach Stefan den Kuss und hielt sie nur noch fest. Etwas stimmte nicht. Es war jedoch nicht seine Eifersucht oder die Tatsache, dass er seit einer Ewigkeit keine Frau mehr im Arm gehalten hatte. Etwas anderes hielt ihn davon ab, seinen geheimsten Wünschen freien Lauf zu lassen. Sie waren da. Dessen war er sich jetzt sicher. Sie waren immer um ihn, beobachteten ihn und beeinflussten sowohl sein Denken als auch sein Handeln. Eine höhere Macht hatte von ihm Besitz ergriffen, sich seiner bemächtigt, um ihn als Werkzeug des Schicksals zu benutzen. Gerechtigkeit walten zu lassen für Menschen, die er nicht einmal richtig gekannt hatte.
»Was hast du?«, fragte Sabine.
»Es ist nichts!«, antwortete Stefan. »Ich bin einerseits überglücklich, dich halten zu können. Aber ich glaube, ich bin erst wieder der Alte, wenn ich diese verdammte Sache hinter mich gebracht habe.«
Sabine sagte nichts. Er hätte zumindest einen Widerspruch erwartet oder eine abfällige Bemerkung. Aber Sabine schien zu spüren, unter welchem Druck er stand. Sie schmiegte sich an seine Schulter und zog ihn an sich, so fest sie nur konnte.
»Alles gut«, sagte sie.
Es war das erste Mal seit Tagen, dass Stefan sich wieder einigermaßen sicher fühlte.
8
Sabine und Stefan schritten nach außen hin selbstsicher, doch innerlich zitternd, durch die Eingangshalle des Gelforth-Gebäudes. An der Pforte hatte Stefan Herrn Grasser freundlich zugenickt, als dieser ihn misstrauisch musterte und fast vergessen hätte, Sabine Lichtenberg einen schönen guten Morgen zu wünschen. Sie und Stefan kicherten vor dem Aufzug wie zwei Kinder, die einem bösen alten Nachbarn einen Streich gespielt hatten.
Sie ist meine Tante!
Mit dem Fahrstuhl ging es hinauf in den zwölften Stock, die Chefetage. Claus-Dieter würde noch nicht im Hause sein; er kam immer erst gegen zehn ins Büro. Stefan hatte Pudding in den Knien und brachte kein Wort heraus, was Sabine köstlich amüsierte. Oben machte sie ihm einen starken Kaffee.
Sie sprachen wenig miteinander an diesem Morgen, nach einer Nacht, die sie so unzertrennlich zusammengeschweißt hatte, wie Sabine es niemals für möglich gehalten hätte. Er schien einer dieser seltenen Exemplare von Männern zu sein, denen es nichts ausmachte, wenn die erste gemeinsame Nacht ohne Sex vonstattenging.
Schließlich hatten Sie sich im Büro des Chefs an einem Konferenztisch niedergelassen. Stefan ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, während sie darauf warteten, dass Claus-Dieter eintraf. Die Papyrus-Bilder an den Wänden zeigten Szenen aus dem alten Ägypten – Götter, Pharaonen und geheimnisvolle Hieroglyphen. Das warme Braun der vergilbten Papyrusblätter stand in seltsamem Kontrast zur modernen Büroausstattung. Überall im Raum waren kleine ägyptische Statuen verteilt. Eine Figur der Isis thronte auf dem Aktenschrank, während auf dem wuchtigen Schreibtisch eine kleine Sphinx zwischen Laptop und Terminkalender stand.
Die getäfelte Decke ließ den Raum niedriger erscheinen, als er tatsächlich war. Das warme Licht der Schreibtischlampe warf tanzende Schatten an die Wände, die den Figuren ein unheimliches Eigenleben zu verleihen schienen. Stefan bemerkte, wie Sabine neben ihm unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. Auch sie schien die bedrückende Atmosphäre zu spüren, die von der morbiden Dekoration ausging. Oder war es, weil sie gleich ihrem Ex gegenübertreten würde?
Der Raum passte jedenfalls zu dem, was sie hier erwartete – ein Gespräch über Tod, Verrat und ein dunkles Geheimnis namens ANUBIS.
Die Zeit schien zu kriechen. Doch irgendwann sprang die Tür auf, und ein junger, gutaussehender Mann in dunkelblauem Anzug betrat den Raum. Er sah Stefan entgeistert an.
»Was machen Sie hier?«, fragte er und schien erst jetzt Sabine wahrzunehmen. »Wer ist das, Sabine?«
Er sagte nicht einmal “Hallo”.
Claus-Dieter Gelforth hatte den ersten Schritt in das Büro gemacht und stand mit seinem Lederkoffer einen kurzen Moment wie angewurzelt da. Für Stefan kam das einem Schuldbekenntnis gleich, aber er wollte trotz seines Verdachts nichts überstürzen.
»Das ist Herr Wollner, Claus. Er möchte sich gerne mit dir unterhalten«, sagte Sabine.
»Über was? Wir hatten bereits eine Pressekonferenz! Außerdem habe ich gleich einen äußerst dringenden Termin.«
Stefan fragte sich, was es wohl sein mochte, dass ihn jeder für einen Reporter hielt. Vielleicht war dies ein Wink des Schicksals, den Beruf zu wechseln.
»Ich bin nicht von der Presse, Herr Gelforth. Ich möchte mit Ihnen über Ihre Eltern sprechen.«
»Meine Eltern?«
»Ich bin… ich war ihr Nachbar.«
»Und?«
»Ich bin vermutlich der letzte, der sie lebend gesehen hat.«
So knapp wie möglich erzählte Stefan seine Geschichte und versuchte dabei, ruhig zu bleiben. Claus-Dieter Gelforth ließ sich nichts anmerken. Seine Miene blieb starr, fast emotionslos. Nur hin und wieder blinzelte er, als würde er versuchen, eine lästige Fliege zu verscheuchen.
»Herr Wollner, Sie werden jetzt mein Büro verlassen!«, sagte Claus-Dieter schließlich, seine Stimme schneidend.
»Claus! Nein!«, rief Sabine aufgebracht.
»Was soll denn das, Sabine? Fällst du jetzt auf jeden Irren rein, der sich wichtig machen will? Ich glaube nicht an so einen Quatsch! Geister! Wenn der Anlass nicht so traurig wäre, würde ich mich kaputtlachen. In Anbetracht der Sachlage finde ich das Ganze aber ziemlich geschmacklos. Also machen Sie, dass Sie rauskommen.«
»Herr Gelforth, wo waren Sie vorgestern Abend?«, fragte Stefan plötzlich, seine Stimme fester als zuvor.
Claus-Dieter runzelte die Stirn. Für einen Moment war ihm anzusehen, dass die Frage ihn aus dem Konzept brachte.
»Wie bitte? Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass ich… dieser Sohn bin, von dem Sie da geschwafelt haben?«, entgegnete er schließlich, seine Stimme jetzt spöttisch.
Stefan erwiderte den Blick des jüngeren Gelforths ohne zu blinzeln. Der Raum wurde still, fast unheimlich still. Gerade, als Claus-Dieter einen weiteren spitzen Kommentar machen wollte, sprang nach einem kurzen Klopfen die Tür erneut auf. Ein kleiner, gedrungener Mann in einem dunkelgrauen Nadelstreifenanzug betrat hastig den Raum.
»Herr Gelforth? Sie wollten mich sprechen? Meine Sekretärin sagte mir, dass… Oh, Entschuldigung!«, begann der Mann, blieb dann jedoch abrupt stehen, als er die angespannte Stimmung im Raum bemerkte. Sein Blick wanderte von Claus-Dieter zu Stefan und schließlich zu Sabine.
»Ah ja… Kommen Sie herein, Herr Katschmann«, sagte Claus-Dieter mit einem Tonfall, der zugleich genervt und schneidend war.
»Es tut mir leid, aber das Sekretariat war nicht besetzt«, erwiderte Katschmann und schloss die Tür hinter sich.
»Schon gut, Katschmann. Es ist in Ordnung. Ich wollte tatsächlich mit Ihnen reden. Die Herrschaften hier waren gerade im Begriff zu gehen.«
Stefan spürte plötzlich einen dumpfen Druck in seinem Kopf. Sein Blick verschwamm, und ihm wurde übel. Er hielt sich an Sabines Schulter fest, die sofort bemerkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
»Was hast du?«, flüsterte sie besorgt.
»Ich weiß auch nicht. Mir ist auf einmal so komisch…«, brachte Stefan hervor.
Er richtete sich mit Mühe auf, doch sein Körper fühlte sich an, als sei er aus Blei. Der Raum begann sich um ihn zu drehen, und in seinem Inneren wuchs das Gefühl, dass gleich etwas Sclimmes passieren würde – etwas, das sich jetzt unaufhaltsam entlud. Stefan versuchte, sich so gut als möglich zusammenzureißen und richtete sich kerzengerade auf.
Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, und dann hatte er wieder dieses unmissverständliche Gefühl, dass SIE da waren. Nur war es noch nie so stark gewesen, so übermächtig. Und da war noch etwas, das er jetzt begriff. Sie waren nicht seine ständigen Begleiter, die an seine Fersen geheftet durch den Raum schwebten. Er konnte sie fühlen – denn sie waren ein Teil von ihm.
Er trug sie in sich, wie eine Mutter ihre Zwillinge in ihrem Leib trägt. Nur wenn er in tiefere Bewusstseinsschichten glitt, konnten sie sich von ihm lösen. Zumnidest für einen kurzen Zeitraum, in dem sie ihm als Geister erscheinen konnten.
Und jetzt wurde ihm klar: Seit dem Moment, in dem seine Nachbarn gestorben waren, waren sie in seinen Körper übergegangen. Doch erst jetzt war eine unsichtbare Schranke in seinem Geist aufgebrochen – und ließ das Wissen hindurch, das all die Zeit schon in ihm geschlummert hatte.
Stefan wurde schwindlig. Etwas war im Gange. Die Geister wollten aus ihrem Gefängnis, seit dieser Mann den Raum betreten hatte. Wer war er? Was hatte er mit der ganzen Sache zu tun?
»Frau Lichtenberg, würden Sie bitte so freundlich sein und auf Ihren Posten gehen? JETZT! Und nehmen Sie diesen Herrn mit!«, befahl Claus-Dieter Gelforth und sah Stefan verwundert an. »Was ist denn mit Ihnen los?«
»Er fühlt sich nicht so besonders!«, sagte Sabine hastig und stützte Stefan.
»Ich glaube wirklich, es ist besser, wenn ihr beide jetzt verschwindet!«, wiederholte der Juniorchef.
»Nein…«, sagte Stefan. »Ich kann nicht! Ich muss hierbleiben. Es ist wichtig.«
»Hören Sie, mein Freund. Ich denke auch, dass es gut wäre, wenn Sie sich einmal gründlich untersuchen lassen würden. Am besten bei einem guten Psychiater. Es gibt…« Claus-Dieter Gelforth brach mitten im Satz ab und starrte auf Katschmann. Dieser trat näher, blieb jedoch stehen, als er merkte, dass Gelforth ihn fixierte. Auch Stefan und Sabine war dieses merkwürdige Verhalten aufgefallen. Der Juniorchef hielt inne und schien in Gedanken versunken. Das Rattern in seinem Gehirn war förmlich hörbar. Sabine bekam es mit der Angst zu tun. Etwas Merkwürdiges ging hier vor. Die Atmosphäre im Raum war zum Zerreißen gespannt.
»Soll ich vielleicht nicht doch etwas später wiederkommen? Es macht mir nichts…«, sagte Katschmann.
»Nein!«
»Claus! Du musst Stefan anhören!«, rief Sabine verzweifelt.
»Es wird vielleicht doch besser sein, wenn…«, stotterte Katschmann weiter.
»SIE BLEIBEN HIER!«, rief Gelforth und trat hinter dem Schreibtisch vor. Er fixierte Katschmann mit schneidenden Blicken, und plötzlich schien es, als seien Stefan und Sabine für ihn gar nicht mehr da.
»Was um Gottes Willen?!«
»Herr Katschmann!«, sagte Gelforth scharf, sodass die Anwesenden zusammenzuckten. »Sie sind der Leiter der ANUBIS-Projektgruppe.«
»Nun…, Ja!?!«
»Ich sollte vielleicht erwähnen, dass Herr Katschmann der Entdecker dieses neuen Verfahrens ist!«, sagte Claus schneidend. »Die ANUBIS-Formel ist das Ergebnis einer jahrelangen Forschungsarbeit, die kurz vor dem Abschluss steht. Ist es nicht so?«
»Das ist richtig«, sagte Katschmann nickend. »Aber was wollen Sie von mir?«
Claus-Dieter Gelforth zitterte. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, und Sabine bekam es mit der Angst zu tun. Noch nie hatte sie ihren Ex-Freund in einem solchen Zustand gesehen.
»Mein Vater war von diesem Projekt weniger begeistert, weil es seiner Meinung nach letzten Endes nur eine große Stange Geld gekostet hat, aber bisher weder Ergebnisse noch Gewinn einbrachte.«
»Wie Sie bereits richtig bemerkten, stehen wir mit unseren Bemühungen kurz vor einem Abschluss!«
»Mein Vater hat Sie immer unterstützt. Nicht wahr, Herr Katschmann?«
»Ja, hat er…«
»Er hat Ihnen jede Hilfe zuteil werden lassen. Nannte er Sie nicht sogar einmal den Sohn des Unternehmens?«
»Er…«
»Bis er merkte, dass hinter Ihren Bemühungen nichts weiter als leere Versprechungen steckten!«
»Herr Gelforth! Ich…«
Katschmann und der Juniorchef standen sich wie duellierende Kontrahenten gegenüber. Stefan und Sabine starrten mit großen Augen auf die beiden, als Stefan plötzlich schwarz vor Augen wurde. Er sank auf die Knie.
»Stefan, was ist mit dir?«, fragte Sabine, die einen Riesenschreck bekam. Claus-Dieter Gelforth schien von Stefans Zusammenbruch nichts mitbekommen zu haben. Er redete wie apathisch auf Katschmann ein.
»Ich habe die Untersuchungsergebnisse prüfen lassen, Herr Katschmann. Es ist Schwindel. Es ist alles ein großer Schwindel… Ich habe Sie heute Morgen zu mir gebeten, weil ich Ihnen persönlich mitteilen wollte, dass Sie gefeuert sind!«
»NEIN! Wir stehen kurz vor einem Abschluss! Die ANUBIS-Formel funktioniert… sie ist die Frucht meiner Arbeit. Sie ist MEIN KIND!«
»Genau… Sie sind der Vater des ANUBIS-Schwindels und gleichsam der Sohn des Unternehmens. Ohne das Geld meines Vaters wären Sie längst am Ende gewesen. Mein Vater hat Zeit seines Lebens nach einem zweiten Sohn gesucht, dem er vertrauen konnte, dem er die Führung seines Unternehmens in die Hände hätte legen können, nachdem sein eigener Sohn nichts weiter als ein Taugenichts war. Jedenfalls dachte er das. Ich mag zwar in mancher Beziehung etwas nachlässig sein, aber ich bin nicht dumm. Nachdem mein Vater seinen zweiten Sohn gefunden glaubte, gab er diesem jede Unterstützung. Doch dann merkte er, dass dieser Sohn ein Scharlatan, ein Schwindler ist… und wollte ihm den Geldhahn zudrehen. War es nicht so, Herr Katschmann?«
Sabine hielt Stefan in ihren Armen. Sein Körper war klatschnass.
»Claus, wir brauchen einen Krankenwagen!«, flehte sie, aber weder Claus noch Katschmann hörten sie.
»Er hat nie verstanden, um was es eigentlich ging«, wütete Katschmann. »Er hat niemals…«
»Er hat Sie durchschaut, Katschmann. Leider konnte er nicht mehr feststellen, dass sein leiblicher Sohn doch nicht so oberflächlich und dumm ist. Ich habe die Ergebnisse prüfen lassen und den Schwindel ebenso durchschaut.« Claus-Dieter schaute kurz auf Stefan. »Und nun, Herr Katschmann, kommen wir zu dem Umstand, dass meine Eltern am Samstagabend unerwarteten Besuch hatten. Einen Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen hat. Die Polizei fand im Müll die Reste der ausgepressten Orangenschalen, in denen man mehrere Nadelstiche fand. Jemand hatte die Früchte mit Gift versetzt, als diese noch in der Obstschale lagen. Was sagen Sie dazu, Herr Katschmann? Sie haben doch immer Spritzen im Haus, nicht wahr? Sie sind doch zuckerkrank, ist das korrekt? Oder anders gefragt… Was ich wissen will, ist, wo Sie Samstagabend waren, nachdem Sie sich ja vorsorglich für den Sonntag ein Alibi besorgt haben!?! Ich frage mich, ob Sie in Ihrer Besessenheit so weit gehen würden, einen Mord zu begehen?!«
Gelforth zog eine Schublade an seinem Schreibtisch auf und holte einen Revolver hervor.
»CLAUS! NEIN!«, schrie Sabine und stürzte einen Schritt auf ihn zu.
»Lass mich in Ruhe, Sabine. Das Schwein hat meine Eltern auf dem Gewissen!«
»Du darfst ihn nicht erschießen! Du…«
Sabine Lichtenberg stürzte auf Claus Gelforth zu und packte sein Handgelenk. Dann löste sich ein Schuss, und eine Kugel pfiff knapp an Katschmanns Kopf vorbei. Reflexartig drehte er sich um und stürzte aus dem Büro, in der Erwartung, jeden Moment einen weiteren Schuss zu hören und von einer Kugel tödlich getroffen niedergestreckt zu werden.
Während er den Korridor entlang jagte, schossen ihm Gedanken wild durch den Kopf. Sie wussten alles. Sie hatten es herausgefunden, obwohl der Plan doch so perfekt erschienen war. Er musste verschwinden, so schnell wie möglich. In die Tiefgarage zu seinem Wagen musste er, und dann nichts wie fort und untertauchen. Wenn er jetzt nur ein bisschen Glück hatte, dann würde der Aufzug da sein, mit dem er vorhin nach oben gefahren war. Katschmann schlug mit seiner nassgeschwitzten Hand gegen den unteren Knopf neben den Aufzugtüren und hatte Glück.
Mit dem Klang einer elektronischen Glocke schoben sich die verkleideten Stahlblechtüren zur Seite und gaben den Durchgang zur Aufzugkabine frei, deren Innenwände mit Spiegeln ausgekleidet waren. Mehrmals hintereinander drückte er auf den Knopf neben dem Kürzel T1, bis ihn die Türen in der Kabine einschlossen und der Fahrstuhl sich viel zu langsam in Bewegung setzte.
Wenn er jetzt noch ein wenig, ein ganz klein wenig Glück hatte, dann würde niemand in einem der anderen Stockwerke auf den Knopf drücken… Dann würde er ohne Umschweife zu seinem Wagen und mit diesem in die Freiheit kommen. Vorläufig jedenfalls. Er dachte an den jungen Gelforth und den Revolver in seiner Hand. Der Alte hatte nie verstanden, um was es ging. Am Anfang vielleicht noch, als er Blut geleckt hatte und dem Zwang unterlag, seinem Nichtsnutz von Sohn eins auswischen zu müssen. Er hatte sie schließlich beiseiteschaffen müssen. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Ihn und diese alte Hexe Amalie. Er dachte daran, wie er unter einem Vorwand, an den er sich schon gar nicht mehr erinnern konnte, in der Küche verschwunden war und die Orangen in dem Obstkorb entdeckt hatte. Sie standen dort, wo sie immer standen, und er brauchte nur das Gift in die Früchte zu spritzen. Und jetzt spielte sich dieser Mistkerl von Sohn plötzlich als Firmenchef auf und hatte es tatsächlich geschafft, Katschmann einen Riesenschreck einzujagen.
Auch jetzt noch hatte Katschmann panische Angst. Jedoch war da noch etwas anderes, vor dem er panische Angst gehabt hatte. Etwas, das er nicht verstand und dem er auch keinen Namen hätte geben können. Irgendetwas Unheimliches, das mit dem jungen Mann in Gelforths Büro zu tun hatte, den er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Doch einmal… War es am Empfang? Die Angst war gekommen, als dieser Kerl plötzlich zusammengeklappt war, als der Knabe diesen Anfall bekam. Nachdem Gelforth den Revolver gezogen hatte, war es klar, dass er, Gregor Katschmann, ein für alle Mal aufgeflogen war. In diesem Moment hatte er das Gefühl gehabt, jemand schalte eine Heizlampe hinter seinem Genick ein. Doch als dieser komische Kerl dann seinen noch komischeren Anfall bekommen hatte, hatte sich die Angst wie eine wuselnde Ratte durch seinen Hinterkopf gefressen. Auch jetzt wurde ihm plötzlich heiß, als habe jemand eine ganze Batterie Heizlampen über seinem Genick eingeschaltet. Katschmann zog sich die Krawatte auf und riss sich die obersten zwei Knöpfe von seinem Uli-Knecht-Hemd auf.
Der Fahrstuhl war schon eine ganze Weile unterwegs, und irgendetwas stimmte mit diesem Scheißding nicht. Und wieder biss eine sich windende Ratte in seinem Genick fest und begann sich durchzunagen. Es war, als würde der Fahrstuhl immer schneller. Dünne Rauchschwaden drangen plötzlich durch die Bodenritzen in die Kabine. Ein defekter Fahrstuhl hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Brante es etwa?
Er musste raus hier, und zwar schnell. Er drückte irgendeinen Knopf und schaute an die elektronische Anzeige über ihm, um zu schauen, in welchem Stockwerk er sich befand. Er schluckte und wusste einen Moment lang nicht, ob er lachen oder laut zu schreien beginnen sollte. Die Ziffern der LED-Anzeige rasten wie die Hundertstelsekundenanzeige einer Stoppuhr dahin. Katschmann trat einen Schritt zurück, seinen Blick immer noch fassungslos an die pulsierenden Ziffern geheftet. Jetzt spürte er auch deutlich den Druck, der auf seinen Eingeweiden lastete, so als würde der Inhalt seines Magens mit aller Kraft gegen seine Lungen gedrückt. Der Rauch in der Kabine wurde dichter.
Er schlug mit der flachen Hand gegen die Armatur, auf der sich die Knopfleiste befand, betätigte den Notaus-Schalter und drückte die Alarmtaste. Oberhalb der Tasten befand sich eine in die Wand eingelassene Klappe, die aufschnappte, als Katschmann kurz dagegen schlug. Darin fand sich ein Telefon und eine weitere Ruftaste. Katschmann nahm den Hörer und ließ ihn reflexartig im nächsten Moment fallen. Der Kunststoff des Hörers war butterweich. Katschmanns Händedruck hatte vier schmale Rillen im Kunststoff hinterlassen. Jetzt baumelte der Hörer am Kabel knapp über dem Kabinenboden und begann zu zerfließen.
In seiner Panik schlug Katschmann mit den Händen gegen die Fahrstuhltür und riss sie kurz darauf wieder zurück. Voller Entsetzen starrte er auf seine Handflächen, auf denen sich in Sekundenschnelle kleine Bläschen bildeten, die sich langsam aufplusterten und eine nach der anderen, wie Schaumkronen, zerplatzten.
Der Dampf in der Kabine verdichtete sich, und während sich Katschmanns Eingeweide durch die rasende Fahrt nach oben schoben und er kaum noch Luft bekam, löste der Rauch einen starken Hustenreiz in ihm aus. Plötzlich kam diese unerklärliche Angst wieder. Die Angst, nicht allein im Raum zu sein. Dann, als der Nebel sich um seine Füße schlang, war er sich der entsetzlichen Tatsache bewusst, dass sich jemand oder etwas hinter ihm befand. Irgendwas, das nach ihm greifen wollte, und er wusste aus einer dunklen Ecke seines Gewissens, dass er schreien würde, wenn er sich jetzt umdrehte, dass sein Ende gekommen war, sobald er seinen Kopf nur ein kleines Stück weit zur Seite drehen würde, um im Augenwinkel mit einem flüchtigen Blick dieses böse Etwas zu identifizieren. Er musste jetzt stark sein, musste sich jetzt unter Kontrolle halten. Irgendwann musste diese Höllenfahrt, dieser böse Alptraum, vorbei sein, und er würde sich vor allen verstecken können, die ihm jetzt nach dem Leben trachteten. Doch dann, als befolge er den Befehl einer höheren Macht, drehte Katschmann sich um und sah in ihre Gesichter. Und nur der Schmerz einer Schrecksekunde durchfuhr ihn wie ein Blitzschlag, als er ihre Fratzen sah und das rote Glühen der Rache in ihren Augenhöhlen. Die aufgerissenen Münder, die stumme Schreie ausstießen. Ihre ausgestreckten Arme, die ihn packten und ihn in die Tiefe rissen, in einen brodelnden Höllenschlund, der seinen Geist in Wahnsinn ertränkte. Edvard und Amalie waren gekommen, um ihn zu holen.
9
Grasser wartete ungeduldig vor dem Aufzug. In seiner rechten hielt er einen Knüppel, in der linken ein Gasspray, mit dem er den Flüchtenden zur Not mit einem ätzenden Schub aufhalten wollte. Sicherlich würde dieser Betrüger Widerstand leisten. Grasser wollte auf Nummer sicher gehen. Doch als sich die Tür des Aufzuges zur Seite schob, begriff er, dass weder Schlagstock noch CS-Gas vonnöten waren. Die winselnde Kreatur, die in der Ecke des Fahrstuhls kauerte und mit herausgestreckter Zunge wie ein Köter in der Mittagshitze hechelte, schien für niemanden eine Gefahr darzustellen. Grasser legte den Notausschalter um und ließ Katschmann, der einen unangenehmen Geruch verbreitete, in der Ecke des Fahrstuhls sitzen. Zwei Sicherheitsbeamte packten ihn kurze Zeit später, zerrten ihn mit vereinten Kräften aus der Kabine und brachten ihn zu dem Krankenwagen, der sich auf den Weg zur nächstgelegenen Psychiatrie machte.
10
»Vollkommen durchgeknallt!«, bemerkte Claus-Dieter Gelforth trocken und schenkte sich und seinen Gästen Cognac ein. Er hatte Stefan und Sabine, tags darauf, in seine Wohnung eingeladen.
»So sagte man es mir, als ich bei der Polizei anrief.«
»Er war es, der ihre Eltern auf dem Gewissen hat«, sagte Stefan und nahm das Glas, das Gelforth ihm hinhielt.
»Ja, er war es. Er hatte meinen Eltern noch am Samstagabend einen Besuch abgestattet. Dort muss ihm mein Vater gedroht haben, am Montag den Aufsichtsrat zu informieren. Katschmann hatte sich offenbar vorbereitet. Er hat das Gift mit einer Spritze in die Früchte gespritzt. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, unbemerkt in die Küche zu kommen, wo die Obstschale stand. Ein Wahnsinniger…«
Claus-Dieter schwieg einen Moment und atmete schwer. »Mein Vater hat mir nie vertraut. Ich sollte die Firma übernehmen, weigerte mich aber. Ich hätte ihm sowieso nichts recht machen können.«
»Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Gelforth. Wegen des Verdachts…«, sagte Stefan kleinlaut und streckte dem Juniorchef seine zitternde Hand entgegen.
»Schon gut, die Polizei dachte anfangs dasselbe. Sie hatten die Orangenschalen gefunden, die meine Mutter in den Müll geworfen hatte. Ich kam erst gestern darauf, als ich das Büro meines Vaters durchsuchte. Katschmann hatte sämtliche Unterlagen der Prüfungskommission aus dem Büro verschwinden lassen.
Nur etwas hatte er übersehen. Eine Kassette, die in dem Diktiergerät meines Vaters steckte. Er hatte darauf das Kündigungsschreiben Katschmanns diktiert. Ich hatte auf der Suche nach möglichen Hinweisen mehr oder weniger unbeabsichtigt das Gerät angeschaltet, weil ich die Stimme meines Vaters noch einmal hören wollte. Katschmann selbst war über ein verlängertes Wochenende an den Bodensee gefahren. Eine Adresse war jedoch nicht bekannt. Ich verständigte die Polizei und wir vereinbarten eine Festnahme in der Firma. Wir wussten schließlich, dass er heute wieder hier auftauchen würde.«
»Ich verstehe das nicht ganz…«, sagte Stefan. »Wäre der Schwindel nicht eines Tages ohnehin aufgeflogen?«
»Vermutlich… Nur hatte mein Vater mehr oder weniger privat eine Firma mit der Untersuchung beauftragt. Ich glaube, er wollte Katschmann und vermutlich auch sich selbst nicht bloßstellen. Immerhin hatte er diesen Kerl ziemlich gern. Vermutlich hat er nie damit gerechnet, dass dieser so weit gehen würde. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Katschmann gehofft, das Spiel noch eine ganze Weile so weitertreiben zu können. Er hat nicht schlecht gelebt.«
»Du hättest mich in die geplante Polizeiaktion ruhig einweihen können!«, sagte Sabine und sah den Juniorchef verständnislos an.
»Mein eigener Plan war etwas anders, Sabine. Ich wollte Katschmann erschießen, in dem Moment, in dem er mir gegenüberstand. Zu diesem Zweck hatte ich ihn früher in die Firma bestellt. Mein Gott, er dachte wirklich nicht einen Moment lang, dass wir ihn überführt haben könnten.« Dann sah Claus zu Stefan »Nein, mein lieber Herr Wollner, Sie brauchen sich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken!«
Gelforth schüttelte Stefans Hand. »Ich wollte ihn umbringen. Doch Ihre Anwesenheit und auch Dein Eingreifen, Sabine, hat mich schließlich davon abgehalten. Wären Sie beide nicht da gewesen, säße ich jetzt wegen Mordes hinter Gittern. Vermutlich war es Ihre Gespenstergeschichte, die mich so durcheinander gebracht hat. Bei der es mir übrigens immer noch schwerfällt, sie zu glauben. Mutter war die Okkultistin in unserer Familie. Ich hab´ mit solchem Humbug nie was am Hut gehabt.«
»Du glaubst Stefans Geschichte nicht?«, fragte Sabine.
»Natürlich nicht, Sabine. Mag sein, dass es Menschen mit telepathischen Fähigkeiten gibt, oder solche, die kaputte Uhren wieder zum Laufen bringen. Aber Geister?«
Sie schwiegen. Gelforth nippte nachdenklich an seinem Glas und überlegte. Dann setzte er hinzu: »Obwohl ich gestern, als ich Katschmann stellte, die ganze Zeit über das Gefühl nicht loswurde, dass wir nicht allein im Zimmer sind.«
11
»Richtig! Er hat es dir nie abgenommen!«, sagte Sabine und schenkte Stefan frischen Kaffee nach. »Deine Erlebnisse mit den Gelforths, meine ich.«
»Ist doch egal«, sagte er. Stefan starrte immer noch in den Garten der Nachbarn. Auf den Liegestühlen hatten es sich die Eltern der spielenden Kinder bequem gemacht.
»Ich habe Claus übrigens neulich noch mal zufällig gesehen«, sagte Sabine schließlich und rührte in ihrem Kaffee. »Er hat sich wahnsinnig verändert – fast, als hätte ihm dieses Erbe einen regelrechten Energieschub verpasst. Er ist jetzt richtig engagiert. Ein ambitionierter Chef, der die Firma vor dem Bankrott gerettet hat. Wenn mir das einer vor einem Jahr erzählt hätte…«
»Bereust Du es, dass Du gekündigt hast?«
Sabine schüttelte lächelnd den Kopf.
»Natürlich nicht, Schatz. Der neue Job ist viel besser und wir haben endlich genug Zeit füreinander. Außerdem fände ich es ziemlich schräg, die Sekretärin vom Ex zu sein. Nein Danke.«
Jetzt grinste Stefan, zog aber plötzlich die Augenbrauen tief ins Gesicht.
»Da ist aber noch etwas, das mir keine Ruhe lässt«, sagte Stefan plötzlich. »Diese Formel – ANUBIS. Warum ausgerechnet dieser Name?«
Sabine zögerte einen Moment. »Es war Edvards Idee. Er kam damit von ihrer letzten Ägyptenreise zurück. Es war vermutlich eine Abkürzung. Aber frag’ mich nicht, was sie zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich wollte er für ein besonderes Projekt einen besonderen Namen haben. Die beiden waren verrückt nach Ägypten und allem, was damit zu tun hat.«
Stefan stand auf und holte sein Handy und begann mit der Online-Suche.
»ANUBIS ist der Totenwächter. Mein Gott, warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Das ganze ägyptische Zeug in Gelforths Büro…«
»Was meinst Du?«
»Der ägyptische Totengott«, sagte Stefan leise. »Der Wächter zwischen den Welten. Er führt die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits. Sag mal. Wie standen die Gelforths zu ihrem Sohn? War er wirklich nur eine Enttäuschung für sie?«
»Oh nein, sie haben ihn über alles geliebt! Und es machte beiden schwer zu schaffen, dass er so ein Lotterleben führte. Als wir damals zusammen waren, hatte Amalie gehofft, dass Claus sich ändern würde. Ich glaube… Nein ich weiss: Ihr größter Wunsch war es wohl, dass er das Unternehmen einmal weiterführt, eine Familie gründet und sie zu Großeltern macht. Amalie hatte es auch immer bedauert, dass Claus mich damals hintergangen hat. Einmal sagte sie zu mir: Sie haben einen netten und treuen Mann verdient, der sich wirklich um sie kümmert.«
»Na ja, wenn man es so nimmt, ist das ja auch wahr geworden, oder?«
Sabine lächelte. »Irgendwie schon«
»Und wenn genau das der Plan war?«, fragte Stefan.
»Was meinst Du?«
»Ich denke, ich verstehe es jetzt, Sabine. Wann wurde das Projekt gestartet?«
»Das muss vor etwa 5 Jahren gewesen sein. Wieso?«
»Zu dieser Zeit bin ich hier eingezogen.«, sagte er und wurde blass.
Stefan stand auf und verschwand in der Wohnung. Kurz darauf kehrte er zurück und stellte eine fingergroße Statue aus Sandstein vor Sabine auf den Tisch. Sie zeigte einen Menschen mit dem Kopf eines Schakals. Die Arme der Figur lagen eng am Körper, und ihre Pose erweckte den Eindruck, als würde sie gerade einen Schritt nach vorn machen.
»Was ist das?«
»Das ist ANUBIS«, sagte Stefan und lächelte. »Diese Statue war in einem kleinen Geschenkkorb, den mir Amalie und Edvard zum Einzug geschenkt haben.«
»WOW«, brach es aus Sabine hervor.
»Ich hatte dieses Ding komplett vergessen. Ich hatte es nicht mal aufgestellt. Es lag in einer Schublade ganz hinten«
»Und was bedeutet das? Warst Du von Anfang an Teil eines Plans!«
»Vermutlich«
»Das ist verrückt.«
»Nein, es macht plötzlich alles Sinn. Es ging Edvard und Amalie nie darum, das Unternehmen mit einer neuen Technologie zu retten – zumindest nicht in erster Linie. Vielmehr wollten sie, dass ihr Sohn endlich Verantwortung übernimmt. Da Claus vollkommen desinteressiert war und sich lieber seinem Lotterleben widmete, musste etwas Dramatisches geschehen, um ihn wachzurütteln und an sein Erbe zu binden. Nachdem er auch noch dich hintergangen hatte und die Gelforths keine Zukunft für sich, ihren Sohn und das Unternehmen sahen, schmiedeten sie einen Plan. Vermutlich während ihrer Reise nach Ägypten. Als sie wiederkamen wurde ein sinnloses Projekt eingerichtet, ein skrupelloser Leiter eingestellt, der nicht einmal vor einem Mord zurückschrecken würde und ich war ich dabei, hier einzuziehen. Amalie dachte wohl, ich sei der Richtige für die Aufgabe ihrem Sohn mehr oder weniger in den Arsch zu treten.«
»Was ja gar nicht mehr notwendig war, weil er das schon selbst in die Wege geleitet hatte«
»Und woher sollten sie das wissen?«, fragte Stefan. »Du hast selber gesagt, wenn Dir vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass sich Claus-Diether zu einem verantwortungsvollen Chef wandeln würde, dann…«
»Ja, das stimmt.«, flüsterte sie. »Und du warst der Richtige… auch für mich«
Dann schwiegen sie.
Eine leichte Brise strich über den Balkon, raschelte in den Blättern und trug den Duft von Sommer und Freiheit in die kleine Dachgeschosswohnung. Unten hüpfte ein bunter Wasserball über den Rasen, Kinder jubelten – und weder Sabine noch Stefan spürten noch länger die Anwesenheit unruhiger Seelen.
Im Nachbargarten standen ganz normale Liegestühle.
Alles war plötzlich gut so, wie es war.
Dann zerfiel die Statue vor den Augen von Sabine und Stefan zur Staub.
***
