Daniel und die Silberlöffel
Daniel Parker entdeckte seine seltsamen Fähigkeiten im zarten Alter von neun Jahren. Damals wusste er noch nichts von dem kleinen gewaltgierigen Monstrum, das in ihm hauste. Damals war er der kleine verschüchterte Junge von nebenan, der von seiner großen Schwester Becky immer ordentlich auf die Mütze bekam, weil sie in der Schule wegen ihrer Zahnspange gehänselt wurde und ihren Frust an Daniel ausließ. Mit seiner Mutter Magret hatte Daniel kaum Ärger, wahrscheinlich weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Seinen Vater Edward kannte Daniel als einen Mann, der ständig auf der Durchreise war, der aufgrund seines verantwortungsvollen Berufes, er war Vertreter für Silberbestecke, nicht oft zu Hause war. Und wenn, dann kümmerte er sich weniger um seine Kinder, als um seine Frau, die ihn jedes Mal mit Vorwürfen überschüttete, weil sie ihn viel zu selten sah. Sie würde ihn vermissen, sagte sie dann immer, aber anstatt sich zu freuen, ihn zu sehen, beschimpfte sie ihn solange, bis die Diskussion in einen handfesten Streit eskalierte und sie sich nur noch anbrüllten. Komischerweise wurde es, nachdem sie ihre Auseinandersetzungen ins Schlafzimmer verlegt hatten, immer kurz darauf still. Erst nach einer Zeit hörte man dann wieder Geräusche, die irgendwie anders klangen, aber nicht minder gewalttätig.
Daniel war ohne Zweifel ein aufgeweckter Junge. An fast allem interessiert, das Jungen in seinem Alter eben ausmachte. Bis zu jenem verhängnisvollen Nachmittag, als dieser komische Mann im Fernsehen auftrat. Der von sich behauptete, er könne kaputte Uhren und defekte elektrische Geräte wieder zum Funktionieren bringen. In dessen Händen Samenkörner zu wachsen begannen und der Kraft seines Geistes Metall verbiegen konnte. Daniel hatte gebannt auf den Bildschirm gestarrt, auf dem der Mann einen silbernen Löffel in die Hand genommen hatte und mit dem Zeigefinger seiner Rechten leicht darüber strich.
Er hatte die Zuschauer zu Hause aufgefordert, es ihm gleichzutun, und so hatte sich Daniel einen Löffel aus dem Besteckkasten geholt, den Papa – es war ein Wochenende, das er ausnahmsweise einmal zu Hause verbrachte – auf dem Tisch hatte liegen lassen.
Daniel machte nichts weiter, als mit seinem Finger über den Löffel zu streichen. Er dachte an gar nichts besonderes, obwohl der Mann im Fernsehen gesagt hatte, man solle ganz fest daran denken, dass der Löffel sich verbiegt. Daniel machte es Schwierigkeiten, sich auf nur einen Gedanken zu konzentrieren. Es ging ihm so vieles durch den Kopf. Seine Mama, sein Papa, die Mathearbeit, die sie nächste Woche schreiben würden, und die ihm mächtiges Kopfzerbrechen bereitete… An seine saublöde Schwester dachte er, die, seit sie einen Freund hatte, sich immer mehr Zeug ins Gesicht schmierte und aussah wie eine Vogelscheuche und für eine halbe Stunde das Badezimmer morgens belegte.
Dabei starrte er wie gebannt auf den Fernseher und fixierte die Finger des Mannes, wie sie über den Rücken des Löffels strichen, der sich jetzt ganz langsam zu verbiegen begann. Daniel beobachtete ganz genau jede kleine Veränderung der Löffelform. Und als er wieder auf das Besteck in seiner Hand blickte, erschrak er und ließ den Löffel fallen, dessen Griff sich einmal um die eigene Achse verbogen hatte… der sich weiter und weiter verzog, sich auf dem Boden wie eine Schlange wandte und schließlich als in sich verkrümmtes Stück Metall liegen blieb. Die Zuschauer klatschten, weil sich der Löffel des Zauberers im Fernsehen um einen leichten Winkel abgeknickt hatte. Er hielt ihn hoch, als handle es sich um einen Pokal oder so etwas. Daniel hob seinen Löffel auf und starrte ihn fassungslos an. Er verstand nicht, warum die Leute im Fernsehen so ein Aufhebens um den langweiligen Knick im Löffel des Magiers machten, wo sein Löffel doch aussah, als habe man ihn in einen Schraubstock gespannt und mit Zangen-Gewalt bis zum Anschlag verdreht. Dann stand er auf und rannte in die Küche, wo Mama sich mit dem Teig für einen Kuchen beschäftigte.
»Kuck mal…«, sagte er und hielt ihr stolz den Löffel hin. Sie wendete sich ihm lächelnd zu, doch ihr Lächeln verwandelte sich in eine entsetzte Grimasse. Sie starrte den Löffel an, als handle es sich um eine scharf gemachte Handgranate.
»Was um Gottes Willen… Hast du da gemacht?«
Daniel nickte stolz und erwartete denselben Beifall, den sie im Fernsehen dem komischen Mann dargebracht hatte. Aber irgendwie schien Mutti nicht so ganz begeistert zu sein von dem, was Daniel vollbracht hatte. Was eigentlich gar nicht gehen durfte.
»Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen!?! Das hast du doch nicht etwa aus Papas neuem Besteckkasten genommen???«
Daniel nickte abermals, diesmal aber bedeutend schuldbewusster. Mama hatte Daniel an den Schultern gepackt.
»Um Gottes Himmels Willen… Wenn das der Papa sieht… Um Gottes Himmels Willen… Du bist doch verrückt… Wer um Gottes Willen hat dich dazu gebracht, so was zu machen…«
»Der Mann im Fernsehen!«
»Was für ein Mann denn… Ohh Gottohgotto… Wenn Papa das sieht. Um Gottes Willen…«
Mama rannte aus der Küche und zog Daniel wie einen Hund hinter sich her. Im Fernsehen brachten sie Werbung und Mutter schüttelte nur den Kopf, als sie abwechselnd auf den Besteckkasten, dann wieder auf den verbogenen Löffel starrte. Dann versuchte sie den Löffel in seine ursprüngliche Form zurückzubiegen. Doch das Besteckteil war derart in sich verdreht, dass sie es nur noch mehr verbog. Plötzlich betrat Edward Parker das Zimmer.
»Was um Gottes Willen machst du da, du blöde Kuh!!!«, schrie er, stürzte auf sie zu und riss ihr den Löffel aus der Hand. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Weißt du nicht, was dieses Besteck wert ist?!«
Daniel erschrak so sehr, dass er die Treppen hinauf in sein Zimmer rannte und die Tür hinter sich zuschlug. Ganz vorsichtig legte er sein Ohr an die Tür und hörte Papa unten schreien.
»Ist das wieder so ein hysterischer Anfall, weil du nicht oft genug durchgebumst wirst, du blöde Kuh.«
»Spinnst du, du eingebildeter Idiot? Der Junge hat den Löffel verbogen. Ich habe nur versucht…«
»Jetzt schieb nicht wieder alles auf das Kind. Du hast oft genug deinen Frust an mir ausgelassen… Fühlst dich wohl wieder vernachlässigt, was? Bist nicht ausgelastet… Wie?! Den Löffel werde ich dir von deinem Haushaltsgeld abziehen…«
»Hörst du mir überhaupt zu…«, hörte Daniel seine Mutter schreien. »Der Junge kam plötzlich in die Küche und bringt diesen Scheißdreck, weil irgendein blöder Arsch im Fernsehen ihm gesagt hat, er soll das machen. Hast du dir schon mal überlegt, dass es für deine Kinder vielleicht schwierig sein könnte, wenn sie ihren Vater nur zweimal im Monat zu Gesicht bekommen? Vielleicht kümmerst du dich mal etwas mehr um deine Kinder, du Rabenvater. Und was das Bett betrifft, da habe ich bei dir schon lange keine Hoffnung mehr, jemals etwas zu erleben.«
Dann hörte Daniel einen Schlag und einen kurzen Schrei, den seine Mutter ausstieß, dann krachte und schepperte es. Vermutlich war der Besteckkasten auf den Boden geknallt. Es rumpelte, und dieses bedrohliche Rumpeln kam näher, polterte die Treppen hinauf und endete mit dem Knallen der Schlafzimmertür. Dann wurde es still und Daniel öffnete die Tür einen kleinen Spalt weit. Auf dem Flur war niemand zu sehen. Er schlich zum Treppenabsatz und inspizierte das Wohnzimmer von der Treppe aus. Er wusste, dass seine Eltern im Schlafzimmer waren, weil Mutti diese Sache gesagt hatte, was das Bett betraf.
Der Besteckkasten lag tatsächlich auf dem Boden und dort verstreut lagen Gabeln, Messer, Löffel und Teelöffel. Daniel schlich zum Schlafzimmer und legte vorsichtig sein Ohr an die Tür. Drinnen quietschten Bettfedern und es machte dumpfe Schläge in regelmäßigen Abständen. Er riskierte einen Blick durch das Schlüsselloch und sah nur eine sich auf- und abbewegende Bettdecke. Daniel kannte das Ritual. Es würde zirka eine Viertelstunde dauern. Dann würde es eine halbe Stunde ganz still sein. Dann würde Mama im Bademantel aus dem Schlafzimmer kommen, ihren Finger auf die Lippen legen und leise flüstern…
»Psst… Leise! Papa schläft!«, sagte Mom eine Dreiviertelstunde später und verschwand im Badezimmer. Daniel ging leise nach unten, um den Löffel zu suchen. Er musste ihn noch einmal sehen, noch einmal in die Hand nehmen. Er konnte jetzt, nachdem der Vorfall eine Stunde zurücklag, nicht mehr so recht glauben, dass die Sache mit dem Löffel wirklich passiert war. Er suchte, aber er fand ihn nicht. Vermutlich hatte Dad Mommy damit ins Schlafzimmer gejagt. Alles kam ihm plötzlich wie ein seltsamer Traum vor.
Die Tür sprang auf und Becky betrat das Haus. Draußen hörte Danny einen Wagen davonrasen. Becky wurde neuerdings von ihrem Freund nach Hause gebracht. Dannys Eltern schien das weniger zu interessieren.
»Was ist denn hier passiert?«, fragte Becky und warf ihre Jacke an die Garderobe.
»Mom und Dad hatten Krach«, sagte Danny leise.
»Ach so…«, winkte Becky ab und ging nach oben. Auf der Treppe drehte sie sich noch einmal um. »Ach, was ich dir noch sagen wollte, kleiner Mistzwerg. Ich weiß, dass du in meinem Zimmer warst. Eins sage ich dir… Sollte ich dich jemals dort erwischen, wie du in meinen Sachen herumschnüffelst, dann gnade dir Gott.«, sagte sie und ging nach oben, wo sie in ihrem Zimmer verschwand, in dem Danny nie gewesen war. In das er wahrscheinlich niemals gehen würde, weil es ihn absolut nicht interessierte. Vermutlich wusste das Becky auch, aber sie konnte wohl auch an ihrem Bruder nicht vorbeigehen, ohne ihm ein paar Boshaftigkeiten an den Kopf zu werfen. Danny ging ebenfalls nach oben. Es war das Beste, schlafen zu gehen. Alle waren verrückt in dieser Familie, und wahrscheinlich würde er es auch eines Tages werden.
Oben im Flur zuckte er zusammen, als die Badezimmertür aufsprang.
Mama sah aus wie ein Marsmensch. Sie hatte sich ihre Spezialmaske aus Joghurt und irgendwelchen Körnern aufgelegt, von der Daniel nie verstanden hatte, was für einen Sinn sie haben sollte. Schöner machte sie Mama auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil.
Einst hatte er einen furchtbaren Schrecken bekommen, als Mama zum ersten Mal mit ihrem Joghurtgesicht vor ihm stand. Er hatte einen lauten Schrei ausgestoßen und war postwendend in sein Zimmer gerannt, hatte die Tür hinter sich zugeschlagen und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Dabei zitterte er am ganzen Leib wie Espenlaub. Damals hatte er gedacht, die Invasion der Außerirdischen habe begonnen oder ein schreckliches Monster sei ins Haus eingedrungen. Zu alledem hatte Mama diese komischen Lockenwickler getragen, die wie Antennen auf ihrem Kopf ausgesehen hatten.
Das Ergebnis war, dass Mama ihm eine Woche Fernsehverbot aufbrummte, weil sie seine Reaktion auf diesen furchtbaren Film vom Vorabend zurückführte, in dem es von seltsamen Gestalten von fernen Planeten nur so gewimmelt hatte. In Wahrheit war sie schrecklich beleidigt, weil ihr einziger Sohn schreiend vor ihr davongelaufen war.
Papa hatte ihn damals in den Arm genommen und getröstet. Und um Daniels die Angst vor Mamas Metamorphose zu nehmen, hatte er angefangen, Witze über Mamas Aussehen zu machen, was Daniel zwar tatsächlich half, seiner Mutter jedoch überhaupt nicht passte. Sie hasste es nämlich, wenn man über sie lachte oder dumme Witze machte.
Seitdem hatte Mama die Angewohnheit, nach dem Auftragen ihrer Maske in Daniels Zimmer zu schauen, um zu sehen, was er gerade machte. Im Grunde wollte sie seine Reaktion testen. Ob er erschrak oder lachte oder nur einen Anflug von Grinsen im Gesicht hatte. So auch jetzt. Sie standen sich ein oder zwei Sekunden schweigend gegenüber, bis Danny das Schweigen brach.
»Gute Nacht, Mom…«
Daniel ging in sein Zimmer und legte sich auf sein Bett, wo er an nichts anderes mehr denken konnte als an den Löffel.
Der Löffel hatte sich verbogen. Durch eine simple Berührung von Daniels Hand. Was war geschehen? Hatte er tatsächlich Kraft seiner Gedanken ein Stück Metall verbogen? Hatte er, der neunjährige Knirps, den keiner so recht ernst nahm, eine solche Macht?
Auf eine gewisse Art und Weise war er schon immer ein Sonderling gewesen und wenngleich er nicht so recht wusste warum, so wusste er jedoch, dass es so war. Ob zu Hause oder in der Schule. Daniel hatte keine richtigen Freunde. Die anderen Jungs aus seiner Klasse spielten fast ausnahmslos Fußball und das sogar in einem Verein, den Tudor Stallions, bei denen Daniel auch ein Jahr lang gespielt hatte. Bis es ihm zum Hals raus hing, weil sein Beitrag für den Verein darin bestanden hatte, auf der Ersatzbank zu sitzen. Außerdem redete sowieso keiner mit ihm. Die Sache mit der Ersatzbank mochte daran liegen, dass sich Trainer Merenger Samstags abends in Abotts Kneipe mit seinem Stammtisch traf, der komischerweise aus den Vätern derjenigen Jungen bestand, die am Nachmittag auf dem Fußballplatz von Tudor für die Stallions gespielt hatten. Daniels Vater saß natürlich nie dort. Erstens hielt er nichts von Vereinsmeierei und zweitens war er viel zu selten da, um Kontakte knüpfen zu können, die sich für Daniel als nützlich hätten erweisen können.
Die Jungs im Ort mieden ihn nicht, aber sie interessierten sich auch nicht für ihn. Vielleicht würden sie beginnen, sich für ihn zu interessieren, wenn er etwas Besonderes vorzuweisen hatte. Etwas, das außer ihm keiner konnte. Vielleicht hatte es Daniel ja vor wenigen Stunden entdeckt.
Aber vielleicht war es ja auch nur ein einmaliger dummer Zufall gewesen. Vielleicht hatte er ja den Löffel mit der Hand verbogen und es gar nicht bemerkt. Er musste der Sache unbedingt auf den Grund gehen. Aber wie?
Er setzte sich an den Rand seines Bettes und suchte mit Blicken sein Zimmer ab. Er hatte hier keinen Löffel oder etwas Ähnliches. Dann entdeckte er auf seinem Schreibtisch einen Kugelschreiber. Er nahm ihn und ließ sich wieder auf seinem Bett nieder. Ganz vorsichtig strich er mit seinem zitternden Finger über den Schreiber und wartete auf eine Reaktion. Zunächst passierte nichts, doch dann spürte er ein Gefühl der Wärme durch seine Hände fließen. Bildete er sich das vielleicht nur ein? Er war ziemlich aufgeregt.
Als sich nach fünf Minuten immer noch nichts getan hatte, legte er den Kugelschreiber enttäuscht auf seinen Nachttisch. Also war es doch nur ein einmaliger Trick gewesen. Vielleicht hatte auch nicht er, sondern der Magier aus dem Fernsehen den Löffel verbogen.
Daniel legte sich hin, zog die Decke über sich und schaltete das Licht aus. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn er, der uninteressanteste Junge an seiner Schule, eine übersinnliche Gabe gehabt hätte.
Am nächsten Morgen wurde Daniel wie üblich von seiner Mutter geweckt. Er dachte nicht mehr an den gestrigen Vorfall, sondern wusch sich, zog sich an, packte seine Schulsachen und verließ nach einem schnellen Frühstück das Haus. Die erste Stunde hatte er bei seiner Klassenlehrerin Mrs. Noodles, einer dürren alten Schachtel, die eine Brille mit runden Gläsern auf ihrer Nase trug. Sie konnte Kinder nicht ausstehen, und Danny hatte sich des Öfteren gefragt, wie so jemand auf die Idee kommen konnte, Lehrerin zu werden. Die einzige Antwort, die er darauf fand, war, dass sie nur hier in einer solchen Position ihren Hass an Kindern auslassen konnte. Und das täglich.
»Emily Fisher, du hast zum dritten Mal deine Hausaufgaben vergessen und da Strafarbeiten für dich offensichtlich keine Strafe sind, aus der du eine Lehre ziehen könntest, müssen wir wohl zu anderen Mitteln greifen«, zischte sie, und Daniel glaubte, ein schwaches Grinsen auf ihrem Gesicht zu entdecken. Es gehörte zu ihrem Unterricht, dass besonders böse Kinder einen Klaps mit dem Lineal auf die Innenflächen ihrer Hände bekamen. Auch Danny hatte einmal dieses zweifelhafte Vergnügen gehabt. Er wusste nicht mehr, was er damals angestellt hatte.
Er nahm den Kugelschreiber und wollte etwas kritzeln. Irgendetwas. Etwas, das ihn davon ablenkte zuzusehen, wie Mrs. Noodles die arme Emily schlug, die nichts dafür konnte. Jeder wusste es. Ihrem Vater gehörte der Gemischtwarenladen an der Ecke in der Aim Street, und sie musste dort arbeiten, gleich nach der Schule. Weil ihr Vater am Vormittag schon so viel getrunken hatte, dass er zu besoffen war, um die Registrierkasse bedienen zu können. Auch Mrs. Noodles wusste das und sie wusste auch, dass es Emilys Vater einen Scheißdreck scherte, ob seine Tochter ihre Hausaufgaben machte oder nicht. Ihre Mutter war vor drei Jahren an Krebs gestorben.
Der Kugelschreiber klemmte. Danny versuchte krampfhaft, den Knopf zu drücken, doch der war wie festgefressen. Während Mrs. Noodles sich mit einem Lineal bewaffnet der kleinen Emily näherte, schraubte Danny den Kugelschreiber auf, mit dem er letzte Nacht sein verrücktes Experiment durchgeführt hatte. Ein Experiment, das fehlgeschlagen war, so jedenfalls hatte er gedacht. Doch jetzt zog er die Plastikhülle des Kulis auseinander und zog eine in sich verdrehte Mine aus dem Stift. Eine Mine aus Metall, und jetzt wurde Danny bewusst, dass er mit seinen Gedanken Metall und nur Metall verbiegen konnte. Er starrte die Mine ungläubig an, die in seiner Hand plötzlich warm wurde.
Die Hitze, dachte er. Der Kuli ist tatsächlich warm geworden. Dann musste er die Mine auf den Tisch legen, weil sie immer heißer wurde. Auf dem Tisch begann sie plötzlich zu glühen und zu dampfen und je länger er sie betrachtete, desto mehr fraß sie sich in die Kunststoffbeschichtung des Tisches. Dann hörte er einen Schlag, einen Schrei und er erschrak. Sein Kopf fuhr herum und er sah, wie die alte Krähe mit dem Lineal auf Emilys Hände eindrosch.
Er sah die Brille auf ihrer Nase und er konzentrierte seine Gedanken. Plötzlich hörte die alte Krähe auf, ließ das Lineal fallen und kniff die Augen zusammen. Sie schien gar nicht zu begreifen, was mit ihr, oder besser gesagt mit der Brille auf ihrer Nase, passierte. Dann fing sie an zu schreien und die Kinder sprangen auf und wichen vor ihr zurück. Nur Daniel blieb sitzen und starrte sie an, fixierte sie und lenkte all seine innere Kraft auf das Gestell der Brille, das sich in die Haut der alten Krähe fraß.
Mrs. Noodles schlug mit ihren dürren Fingern danach. Versuchte sich die Brille von der Nase zu schlagen, ohne sie anzufassen. Schließlich schaffte sie es, sich die Brille aus dem Gesicht zu wischen. Sie fiel zu Boden, wo sie sich wie ein seltsames Insekt am Boden um die eigene Achse wand. Mrs. Noodles schrie immer noch und hielt sich die Hände vor die Augen. Sie torkelte zur Tür und rannte schließlich schreiend aus dem Klassenzimmer. Die Kinder starrten entgeistert auf die qualmenden Gläser auf dem Boden. Die geschmolzene Kugelschreibermine hatte keiner bemerkt, und das war gut so. Danny hatte sie in seinem Schulranzen verschwinden lassen. Kurze Zeit später kam der Direktor und gab der Klasse den Rest des Tages frei. Mrs. Noodles sei schwer verletzt und ihre Vertretung sei im Urlaub. Er wolle bis morgen eine andere Vertretung organisieren. Daniel konnte dies nur recht sein. Er hatte zu Hause genug zu tun.
Er wollte einige Dinge ausprobieren.
Nach und nach machte sich Daniel mit seiner neu erworbenen Gabe vertraut. Hierzu hatte er zunächst mit den verschiedensten Materialien experimentiert und fand sich in seiner Vermutung bestätigt. Er konnte lediglich Metall beeinflussen. Seine Kräfte versagten bei Holz, Plastik und auch Papier. Nur Metall begann, wenn er sich darauf konzentrierte, mit seinen Gedanken zu reagieren. Warum wusste er nicht, aber es war ihm auch egal.
Es war nicht leicht, diese Kraft zu steuern. Zweimal hätte er beim Experimentieren fast sein Zimmer in Brand gesteckt, als ihm ein glühender Klumpen Metall auf den Teppich geplumpst war. Es waren aber verschiedene Reaktionen erkennbar geworden. Er konnte sowohl die Temperatur des Metalls verändern als auch die Form. So verzog sich ein Drahtkleiderbügel zu der Form eines Schwanes, den Danny auf seinen Nachttisch stellte. Als seine Mutter ihn gefragt hatte, wo er dieses hübsche Kunstwerk herhabe, hatte er erzählt, dass er es im Werkunterricht bei Mr. Higgins gebastelt habe.
Er schaffte es, eine Münze zum Glühen zu bringen und sie blitzschnell wieder erkalten zu lassen. So sehr, dass sie auf dem Teller, auf dem sie lag, festfror. Wie gesagt… Es war nicht leicht, diese Kraft zu kontrollieren.
Bei der Aktion mit Mrs. Noodles Brille musste er eine ziemliche Ladung Energie abgefeuert haben. Das war ihm jetzt klar. Und ein bisschen tat sie ihm sogar leid. Der Direktor hatte drei Tage später bekannt gegeben, dass Mrs. Noodles leider nie wieder würde unterrichten können, weil sie bei dem Unfall ihr Augenlicht verloren hatte. Komischerweise hatte niemand die Schüler gefragt, was wirklich passiert war. Vermutlich hatte die alte Krähe selbst irgendeine haarsträubende Geschichte zusammengelogen, um nicht auf die Vorfälle mit Emily Fisher aufmerksam zu machen.
Auf alle Fälle hatte Danny beschlossen, das Wissen um seine Fähigkeiten für sich zu behalten. Es konnte ihm sicherlich nützlich sein, aber er wollte sich keine Freunde oder Bewunderer erkaufen. Er wollte einen Freund, der ihn mochte, mit oder ohne seine besondere Gabe. Auch Mom, Dad und Becky erzählte er nichts. Sie hätten ihn vermutlich sowieso nur ausgelacht oder zu einem Arzt gebracht.
Er trainierte heimlich. Verbog alle möglichen Metalle und beeinflusste ihre Temperatur. Mit der Zeit konnte er sich auf eine ganz bestimmte Gradzahl einstimmen, die er mit einem Thermometer überprüfte. Er war stolz auf seine Leistungen, und das Beste war, dass er mit der Zeit aufgehört hatte, sich wie ein Außenseiter zu fühlen, auch wenn gerade diese Gabe ihn zu einem machte. Er war zu etwas Besonderem in seinen Augen geworden und das ließ ihn die Einsamkeit besser ertragen. Es regte ihn auch nicht mehr auf, wenn Becky ihn wie den letzten Dreck behandelte. Es machte ihm nichts mehr aus, wenn Mom und Dad sich stritten. Auch wenn er doch zu gerne einen Weg gefunden hätte, seine Familie zu vereinen. Sie zu einer richtigen Familie zu machen. Vater, Mutter und Schwester und Daniel. Manchmal wünschte er sich es sehr. Doch man konnte schließlich nicht alles haben.
Dann kam der Tag, an dem sich alles ändern sollte. Ganz plötzlich. Er hatte sich vermutlich zu gut gefühlt, hatte vielleicht sogar vergessen, was es hieß, wütend zu sein. Hatte die Situation in der Familie zu sehr akzeptiert oder sie einfach nicht beachtet. Es war ein Nachmittag wie jeder andere auch, außer dass Becky nicht alleine war. Sie waren unten im Wohnzimmer und Danny hörte etwas, das er nicht recht verstand, deshalb verließ er sein Zimmer.
Daniel kniete am Geländer und schaute hinunter ins Wohnzimmer, wo er Becky entdeckte, die es mit Tommy, ihrem Freund, auf dem Sofa bequem gemacht hatte, obwohl bequem nicht der treffendste Ausdruck war, denn Becky lag halb auf dem Sofa und Tommy mit heruntergelassenen Hosen auf ihr drauf, zwischen ihren Beinen, und bewegte sich so komisch. Becky hatte unten rum nichts mehr am Leib. Das einzige Kleidungsstück, das sie trug, war ihre Bluse, und sogar die war offen. Sie hatte ihre Arme um Tommy geschlungen, dessen Kopf in ihrer Halsbeuge lag. Sie stöhnte, manchmal laut, manchmal weniger laut, aber ganz still blieb sie nie. Tommy schnaufte heftig. Das, was die beiden da machten, musste wirklich eine anstrengende Sache sein.
Daniel hatte schon davon gehört, wenngleich er nicht wusste, um was es dabei genau ging. Angeblich machte das Spaß, aber das verzerrte Gesicht seiner Schwester hatte nichts Fröhliches an sich. Ihr Mund war halb geöffnet und einmal blitzte ihre Zahnspange im Licht der einfallenden Sonne. Nein, lustig sah das nicht aus, aber interessant war es allemal.
Becky versuchte sich zu entspannen. Es war nicht ihr erstes Mal. Sie hatte es mit Tommy schon einmal getan, hinter der alten Turnhalle zwischen den hohen Holunderbüschen. Es hatte eine mächtige Sauerei gegeben. Becky hatte geblutet, wie ein abgestochenes Schwein, sogar während Tommy sie mit seinem Wagen nach Hause gebracht hatte. Die Innenseite ihrer Jeans war voll mit Blutflecken gewesen, die auf dem blauen Stoff nach einiger Zeit eine schwarze Farbe angenommen hatten. Zu Hause hatte Becky die Jeans im Müll verschwinden lassen und ihrer Mutter erzählt, sie sei an irgendeinem Scheiß-Stacheldraht hängen geblieben und hätte einen absolut irreparablen Riss in der Hose gehabt, was Mom ihr nicht so recht abnahm, weil Risse in einer Jeans bei den jungen Leuten eher ein Grund zu sein schien, im Laden dafür noch einen Hunderter draufzulegen.
Ihr erstes Mal war wirklich eine Katastrophe gewesen. Erst hatte Tommy den blöden Pariser nicht über seinen Schwanz gebracht. Dann war er so aufgeregt, dass sein Ständer zu einer ausgedrückten Mettwurst schrumpfte. Und dann musste Becky sein Ding auch noch in den Mund nehmen, weil diese Form der Stimulation das einzige war, was Tommy in solch einer Situation weiterhalf. Schließlich hatte er sich auf sie gelegt und drückte wie bescheuert seinen Schwanz an Beckys kleines Loch, das sich vor lauter Schmerzen nur noch mehr zusammenkrampfte. Dann stieß er ein paar Mal zu, als wolle er mit einem Rammbock ein Scheunentor einrennen. Irgendwann platzte dann das enge Häutchen ihrer Scheide und Becky stieß einen kurzen, aber schmerzvollen Schrei aus.
Dann brannte es nur noch in ihr. Sie fühlte kaum etwas von dem, das sich in ihr bewegte, sondern nur einen brennenden, undefinierbaren, pulsierenden Schmerz, der sich von ihrem Scheideneingang bis in ihren Bauch fortsetzte. Und einen drückenden Schmerz an ihrem Hintern, der jedes Mal unerträglich anschwoll, wenn Tommy sie mit seinem Becken gegen den Boden drückte. Am nächsten Tag war an dieser Stelle ein blauer Fleck, so groß wie der Deckel eines Mayonnaiseglases, der sich im Laufe der Zeit gelb-grünlich-violett verfärbte und, weil er auch noch Tage später höllisch wehtat, sie jedes Mal an ihre erste Nummer erinnerte, sobald sie sich irgendwo hinsetzte. Und jedes Mal fragte sie sich, warum sie es gemacht hatte, warum sie Tommys Drängen nachgegeben und für ihn ihre Hosen heruntergelassen und ihre Beine gespreizt hatte. Dabei kam ihr die Antwort auf diese Frage ohne Umschweife in den Sinn. Natürlich wusste sie sehr genau, warum sie sich hatte überreden lassen. Weil sie froh sein musste, mit so einem Ding in der Fresse überhaupt einen Freund haben zu dürfen. Dieses hässliche Stück Draht, wegen dem sie schon so oft so sehr gelitten hatte. Wegen dem man sie ausgelacht ja sogar beschimpft hatte. Tommy erschien ihr manchmal wie der heilige Sankt Martin, der sich von seinem hohen Ross herablässt, um ihr, der armen hässlichen Rebecca Parker, ein Stück von seinem Hermelin abzugeben. Sie teilhaben zu lassen an den Sportfesten, den Partys, den Verabredungen mit den anderen, kurz all den Festivitäten, auf die sie sich ohne seelischen Beistand niemals gewagt hätte, weil sie dieses abscheuliche Teil mit sich herumtragen musste und das wahrscheinlich noch für die nächsten zwei Jahre. Als Freundin von Tommy Chesterbrock machte sich niemand über sie lustig. Keiner wollte mit Tommy Ärger bekommen. Er war der Boss.
»Pass aber mit deiner Metallfresse auf!«, hatte Tommy ihr halblachend zugezischt, als sie sich vor ihm niedergekniet hatte, um der ausgedrückten Mettwurst zwischen seinen Beinen beim Aufstehen zu helfen.
»Natürlich bist du schuld, wenn ich keinen hochkriege«, hatte Tommy gesagt, »deine Zicken gehen mir langsam auf die Nerven. Jeder andere in meinem Alter hat schon mindestens drei uneheliche Kinder und eine feste Freundin, die wenigstens einen Hauch von Verständnis für ihren Macker aufbringt. Nur du machst solche Zicken und stellst dich an, wie eine Schildkröte beim Stepptanzen. Jetzt sorg endlich dafür, dass er hart wird, damit wir wenigstens mal den Anstoß hinter uns gebracht haben.«
Um ihre feuchten Augen hatte sich Tommy einen Scheißdreck geschert. Er hätte wenigstens ein bisschen sensibler sein können und nicht so ein selbstgerechtes Arschloch. Aber dann waren ihr die Konsequenzen eingefallen, die sich hätten ergeben können, wenn sie nicht das machte, was er von ihr verlangte. Dann würde er zu Susan Zokolowski, der Klassenschlampe gehen, oder Betty Garfield, aus der neunten, die ihm schon seit der siebten wie eine rollige Katze hinterherlief und er sich nur deshalb bis heute nicht auf sie eingelassen hatte, weil er Angst hatte, mit ihrem Vater Ärger zu kriegen, der nichts davon wusste, dass seine einzige Tochter eine Nymphomanin war. Und das ausgerechnet in einer Familie, die zu den Zeugen Jehovas gehörte.
Also machte Becky, was Tommy verlangte. Und sie versuchte es wirklich so gut wie möglich zu machen, auch wenn sie selbst keine Erfahrung in diesen Dingen hatte. Sie machte und ließ mit sich machen. Sie hatte keine andere Wahl, auch wenn das erste Mal sich zu einer traumatischen Erfahrung entwickelte.
Und sie würde es wieder und wieder tun. Solange sie diese Metallscheiße im Maul hatte. Erst wenn sie der gute Dr. Denforth von diesem Folterinstrument in ihrem Mund befreit haben würde, wäre sie frei. Wäre sie eine begehrenswerte und hoffentlich noch junge Frau, der die Männer zu Füßen liegen würden. Bis dahin würde sie sich von Tommy nehmen lassen, sich seinen Wünschen unterwerfen, für ihn auf dem Sofa ihrer Eltern die Beine für ihn breit machen.
Diesmal war es jedoch irgendwie anders. Weniger erniedrigend. Eigentlich überhaupt nicht beschämend. Diesmal spürte sie Tommy in sich. Wie er sich in ihr bewegte und jede seiner Bewegungen ihr Verlangen nach weiteren kräftigeren Stößen steigerte. Das Pulsieren zwischen ihren Beinen war nicht schmerzhaft. Ein bisschen vielleicht, aber irgendwie anders. Es war ein angenehmer Schmerz, ein lustvoller, schöner Schmerz, den sie nicht nur in Kauf nahm. Nein, nach dem sie sich sogar ein bisschen sehnte, war er im Begriff nachzulassen. Das war es, worüber man mit großen verträumten Augen sprach, wovon die anderen schwärmten, weswegen sich die Dichter, Schriftsteller und Filmemacher die Ärsche aufrissen, um es zu beschreiben. Etwas, was man gar nicht recht beschreiben konnte, weil es so gut war. So schön, so absolut unvergleichlich, wenn…
…einem nicht gerade der kleine Bruder dabei zusah!
Just in dem Moment, da Becky ihren Bruder an der Brüstung knien sah, waren alle guten Gefühle beim Teufel. Sie verkrampfte sich wieder, schlimmer, so schien es ihr, wie beim ersten Mal. Die Schmerzen setzten wieder ein, und Tommys Rohr schwoll in ihrer Empfindung zu der Größe eines Baseballschlägers. Auch Tommy spürte, wie sie mit einem Mal wurde. Aber ihm schien es irgendwie zu gefallen.
»Tommy… Nein.. Bitte…«
»Halt die Klappe.. Ich bin gleich soweit«, presste er zwischen zwei Stößen hinaus.
»Auu…«, schrie sie und dachte, ihr Unterleib würde gerade in Fetzen gerissen. Dazu krallte sich Tommy in ihren Haaren fest und zog daran, als nehme er an einem Tauziehwettbewerb teil. Becky schlug mit den Fäusten auf seinen Rücken und presste ihre Schenkel zusammen. Tränen überschwemmten ihre Augen, doch eine wässrige Silhouette ihres Bruders sah sie immer noch oben am Geländer stehen, als stummen Zeugen ihrer Qualen. Einen grauenvollen Voyeur, der sie ihrer guten, ihrer wirklich guten Gefühle beraubt hatte. Nicht Tommy war es, der ihr diese unsagbaren Schmerzen zufügte. Der sich einen Scheißdreck um sie und ihre Gefühle scherte. Tommy tat nur seine Pflicht. Diese kleine Mistsau dort oben auf der Treppe war die Wurzel allen Übels und als sich zwischen Tränen und Schmerzen einige flüchtige Gedanken in ihr Bewusstsein schlüpften, erzählten ihr diese von der Rache, die sie nehmen würde. Rache an diesem perversen Zwerg, der eigentlich in seinem Scheiß Zimmer sein sollte, wo er von ihr aus an seinem Pillermann rumspielen konnte, so lang er wollte, aber nicht dort. Dort oben, wo er ihnen zusah und vermutlich in Gedanken mitmachte.
Tommy kam mit einem lauten Aufschrei und drückte sein Becken gegen Beckys, um möglichst tief und lang in ihr den Höhepunkt zu erleben. Die erste Erleichterung spürte Becky, nachdem Tommy aufgehört hatte, sie wie ein totes Stück Fleisch zu malträtieren. Die zweite Erleichterung kam, als er sein Ding aus ihrer Scheide zog, die wie Feuer brannte. Und die dritte Erleichterung würde ihr noch bevorstehen, weil Tommy sich zufrieden zur Seite rollte und reflexartig nach den Zigaretten grabschte. Jetzt konnte sie sich nämlich das kleine Bruderschwein vornehmen, um ihn ein wenig an ihren Schmerzen teilhaben zu lassen. Sie stand auf und marschierte im Sturmschritt zur Treppe. Jetzt erst begriff Daniel, dass Becky ihn die ganze Zeit schon gesehen hatte. Er stand auf und rannte in sein Zimmer. Becky stürmte die Treppen hinauf, ihrem Bruder hinterher.
»Hey! Was machst du denn? Bist du noch ganz dicht?«, rief Tommy und steckte sich eine Fluppe an.
Just in dem Moment, da Daniels Zimmertür aufflog und Becky nur mit ihrer Bluse bekleidet, breitbeinig im Türrahmen stand, verfing sich Daniels Aufmerksamkeit an der schwarzen haarigen Stelle zwischen Beckys Beinen. Er hatte das weibliche Geschlecht noch nie so nah wahrgenommen.
»Du kleine miese Drecksau! Ich werd dir helfen rumzuspannen…«, waren Beckys Worte. Sie kam näher und holte mit der Hand zum Schlag aus. Gerade noch duckte sich Daniel und die Backpfeife verfehlte ihr Ziel und wischte über seinen Scheitel. Sie holte wieder aus und traf diesmal besser. Nach der ersten Tirade trat sie einen Schritt zurück und brüllte wie ein Feldwebel.
»Du Dreckschwein. Du mieses frühreifes Dreckschwein. Hat wohl Spaß gemacht, was…? Wehe du wagst es, Mutti und Paps etwas davon zu erzählen. Ich schwöre dir, dann bringe ich dich um.«
Daniel blickte auf und starrte wieder zwischen Beckys Beine, so als hätte er ihre Drohung einfach nicht gehört. Er sah eine milchig weiße Flüssigkeit an ihrem Schenkel hinablaufen. Sie trat wieder einen Schritt vor und schlug Daniel die flache Hand auf sein Ohr.
»Wo starrst du denn hin, du Missgeburt?«
Daniel hob seinen Blick und sah in Beckys Gesicht. Gleichzeitig bemerkte er ihre Verwunderung darüber, dass die Zahnspange in ihrem Mund plötzlich warm zu werden begann.
Es war ein Kribbeln, das sie spürte, dann fuhr es ihr wie ein Blitzschlag in die Zähne. Ihr Kopf drohte plötzlich zu zerplatzen und auf ihren Lippen bildeten sich in Sekundenschnelle kleine Bläschen, die eine nach der anderen aufplatzten. Sie schrie und hielt sich den Kopf, in dem jetzt Jerichos Posaunen grauenvolle Hymnen zu brüllen schienen. Tränen strömten aus ihren Augen und verdampften auf ihrer Haut. Sie starrte ihren Bruder mit weit aufgerissenen Augen an. Dann zog sich das Metall in ihrem Mund knirschend und knackend zusammen. Die Hälfte ihres Gesichtes fiel in sich zusammen wie ein Kuchen, den man zu früh aus dem Ofen genommen hat. Ihre Augen verdrehten sich und sie kippte rücklings über, wo ihr halbnackter Körper noch eine Weile zuckte, während ihr Kopf innerlich verbrannte.
Später saß Danny auf seinem Bett und starrte auf den leblosen Körper seiner Schwester. Dort, wo einmal ihr Gesicht gewesen war, befand sich nun ein schwarzer Krater, in dessen Zentrum ein schwarzer Klumpen Metall ruhte. Ihr komischer Freund war abgehauen, nachdem er, den Schreien seiner Liebsten folgend, panisch in Dannys Zimmer gestürzt war. Bei ihrem Anblick war er erst erstarrt und hatte sich den Mund zugehalten, in der Erwartung, sich übergeben zu müssen, dann war er aus dem Zimmer gerannt und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Danny hatte ihn kaum beachtet. Er dachte nach. Alles hatte sich geändert. Er musste eine Entscheidung fällen.
»Hier sieht es aus wie im Saustall!«, schimpfte Magret und sammelte die Kleidungsstücke ein, die im Wohnzimmer um das Sofa verstreut lagen. »BECKY!! DANNY!!! Wo steckt ihr denn, verdammt noch mal? Wenn das euer Vater erfährt, dann setzt es was.«
Daniel saß oben auf dem Treppenabsatz und schaute seiner Mutter zu. In diesem Moment kam sie ihm so alt vor. So unendlich alt, und er erinnerte sich an eine Zeit, in der sie für ihn eine der schönsten Frauen auf der Welt gewesen war. Auch er selbst erlebte sich älter, so als habe ihn die Geschichte mit Becky zu einem reiferen Menschen gemacht. Er hatte sich gewehrt. Hatte Becky auf seine Art und Weise zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht mehr so einfach schlagen durfte. Auch Mom durfte ihn nicht schlagen. Sie durfte ihn im Grunde nicht einmal anschreien, geschweige denn wütend auf ihn sein, denn das Chaos im Wohnzimmer war Beckys Werk. Ihres und das des Jungen, der vor einer Viertelstunde schreiend aus dem Haus gerannt war.
Daniel sah seine Mutter an und fragte sich, was sie wohl so alt machte. Er konnte es nicht erkennen. Dann überlegte er, was ihm an ihr nicht gefiel, und plötzlich fiel ihm auf, dass es ihre Frisur war, die er abscheulich fand. Sie machte sie alt. Alt und hässlich. Diese Locken waren nicht echt. Sie waren künstlich. Der Versuch, etwas zu verändern, das die Natur schon so perfekt gemacht hatte, dass jede Veränderung zwangsläufig hässlicher sein musste.
Es war das Ergebnis der Lockenwickler, die sich Mom jeden Abend in die Haare drehte. Die Lockenwickler, die sie wie einen Außerirdischen aussehen ließen. Mutter und ihre hässlichen Lockenwickler. Das war es, was Daniel störte. Das, was seine Mutter zu etwas machte, das nicht mehr seine Mutter war, sondern ein hasserfülltes Wesen, das gehasst werden wollte.
»DANIEL!«, schrie sie, und jetzt realisierte er, dass sie ihn bereits gesehen hatte. »Wo ist deine Schwester?«
Daniel zuckte mit den Achseln.
»Weiß nicht…«
»Na warte… Wenn euer Vater nach Hause kommt«, schimpfte sie und verschwand im Flur.
Daniel wusste, was jetzt kommen würde. Zuerst würde sie sich ausziehen und waschen, dann würde sie ihren japanischen Hausmantel anziehen und zuletzt würde sie sich diese Dinger in die Haare drehen, bevor sie sich auf den Weg in die Küche macht, um schimpfend das Abendessen zu kochen. Vater würde nach Hause kommen und sie würden sich streiten. Vielleicht würden sie sich dann wieder im Schlafzimmer versöhnen oder ein paar Teller durch die Wohnung werfen. Für Daniel würde es die selbe Konsequenz haben. Ab ins Bett und Licht aus.
Ich will keinen Mucks mehr von dir hören.
Nur etwas würde anders sein, und das hing mit dem kleinen Problem in Daniels Zimmer zusammen. Er hatte Beckys Leiche unter sein Bett gezerrt, sie war nicht das Problem. Seine Eltern würden sie nicht vermissen. Immerhin sagten sie auch nichts, wenn der Kater drei Tage nicht nach Hause kam, um vermutlich dasselbe zu tun, was Becky mit ihrem Freund machte. Aber der hässliche Brandfleck auf dem Teppich, dort wo Beckys Kopf gelegen hatte, würde ein Problem darstellen, sobald Mommy ihn entdeckt haben würde. Dabei war es nur ein Fleck. Zugegeben, ein großer hässlicher Fleck. Aber Mommy war auch groß und hässlich, wenn sie diese Dinger auf dem Kopf hatte, und niemand scherte sich einen Dreck darum.
Mommy entdeckte den Fleck, und zwar noch bevor sie das Essen machte. Allerdings hatte sie ihre Lockenwickler auf dem Kopf.
»Um Gottes Willen… Was ist denn hier passiert?! DANIEL!!!!! Was zur Hölle hast du getan? Und was zum Teufel stinkt hier so erbärmlich?!?«
Er antwortete nicht. Sie hätte ihn ohnehin nicht ausreden lassen. Sie schlug ihn. Nicht ins Gesicht, so wie Becky es getan hatte. Ihre Hand pfiff über seinen Kopf und streifte ihn nur leicht. Aber es reichte. Es reichte nun endgültig, weil ein simpler Fleck auf einem Teppichboden kein Grund war, um Schläge zu kassieren. Hätte Mommy ihn wegen Becky geschlagen, hätte Daniel es akzeptiert. Er hätte es tatsächlich akzeptiert. Nicht, weil er sich für seine Tat schuldig gefühlt hätte, aber weil Mommy es sicherlich weh getan hätte. Aber es war nicht wegen Becky… Im Grunde ging es auch nicht um den Fleck, sondern es ging um Mommy selbst. Ihre Schmerzen, weil Dad nie da war. Es ging um all die Dinge, wegen denen sie sich die Lockenwickler in die Haare drehte und all die anderen Dinge tat, die sie zu einer alten hässlichen Frau machten. Alt, hässlich und böse.
Daniel trat einige Schritte zurück. Sie kniete vor ihm auf allen Vieren mit einem Küchentuch in der Hand und schrubbte sinnlos über den Fleck. Sie schrie und fluchte und drohte ihm die schlimmsten Dinge an, wenn sein Vater nach Hause käme.
Daniel schloss die Augen und stellte sich seine Mutter vor. In seinen Gedanken hatte sie feuerrote lange Haare, die in einer leichten Welle über ihre Schulter glitten. Dann hörte er das Schreien. Er öffnete die Augen. Sie starrte ihn an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Vielleicht war es ja auch so. Vielleicht sah sie in diesem Moment ihren Sohn das erste Mal in seiner wahren Gestalt. Rauch stieg aus ihren Haaren auf, die zu glühen schienen. Aber es waren nicht die Haare. Es waren diese Dinger auf ihrem Kopf. Diese hässlichen Dinger, die sich auf seltsame Art und Weise verformten, weil sie aus Metall waren. Antennen schienen aus Mutters Kopf zu wachsen. Drähte schlängelten sich aus ihren qualmenden Haaren. Mutter spürte nur eine seltsame Hitze. Schweißtropfen verdampften auf ihrer Stirn, wie Wasserperlen auf einer heißen Herdplatte. Etwas Lebendiges schien sich plötzlich auf ihrem Kopf zu befinden. Dann spürte sie die Stiche der Drähte, die sich in ihren Kopf fraßen, und sie rannte ins Bad, um sich ihren Kopf unter laufendes Wasser zu halten.
Daniel blickte ihr nach. Plötzlich hörte er einen Schrei. Das Licht erlosch. Doch er zuckte nicht einmal zusammen. Er ging hinunter und drückte die Sicherung wieder rein, die herausgesprungen war, nachdem Mutter im Bad verschwunden war und die Drähte aus ihrem Kopf sich einen Weg zur nächsten Steckdose gesucht und gefunden hatten.
*
Es war nicht so, dass Daniel seinen Vater hasste. Im Gegenteil. Auf eine gewisse Art und Weise mochte er ihn sogar, wenngleich er ihm meistens wie ein Fremder erschien, der sich auf der Durchreise befindend, nur zeitweise im Hause Parker einmietete. Und eigentlich gab es auch keinen Grund, ihn umzubringen. Es war aber nun mal eine Tatsache, dass Becky tot in Daniels Zimmer lag und Mommys verkokelter Leichnam im Badezimmer. Daddy, so sehr ihm seine Familie am Arsch vorbeizugehen schien, würde nicht gerade begeistert darüber sein, und deswegen war sein Tod im Grunde eine beschlossene Sache.
Daniel saß auf dem Treppenabsatz, als es im Türschloss klackte. Vater betrat die Wohnung und stellte wie gewohnt den Musterkoffer mit dem Silberbesteck im Wohnzimmer auf dem Esstisch ab.
»Na, Kleiner!«, sagte er ganz beiläufig, als er an Danny vorbeiging, so als habe er dessen Namen vergessen. Etwas, das Daniel überhaupt nicht mochte.
Du wirst nicht begeistert sein. Du wirst ganz und gar nicht begeistert sein, dachte Daniel, als er merkte, dass sein Vater auf dem Weg ins Badezimmer war. Und du fragst dich nicht einmal, warum es so still im Haus ist…
Edward Parker schlenderte den Flur entlang und genoss die Stille im Haus. Keine nervtötende Ehefrau, die einen, anstatt einer angemessenen Begrüßung, erst einmal darauf aufmerksam machte, dass man gefälligst die Schuhe auszuziehen hatte, bevor man die frisch gewischte Wohnung betrat. Keine pubertierende Tochter, die einem nur mit einem einzigen Blick verständlich machen konnte, dass man der Mensch war, auf den sie sich am wenigsten gefreut hatte. Es war einfach nur still und Edward wusste nicht warum. Er wollte es auch gar nicht wissen. Vermutlich war Becky mit ihrem Freund unterwegs. Ein Umstand, der Edward zwar nicht besonders gefiel, gegen den er sich jedoch auch außerstande sah, etwas zu unternehmen.
Gott gebe mir die Fähigkeit, die Dinge zu beeinflussen, die sich zu beeinflussen lohnen. Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die unabwendbar waren. Und Gott gebe mir die Fähigkeit, beides voneinander zu unterscheiden.
Becky würde früher oder später ihre Beine breit machen, egal für wen. Scheiß drauf.
Er war in der glücklichen Situation, ein Ende, zumindest eine Unterbrechung dieses endlosen Familiendramas am Horizont zu sehen. Übermorgen würde er wieder auf Achse sein und sich in einem schäbigen Hotelzimmer von einer 30-Dollar-Nutte einen blasen lassen, würde sich einen Bourbon genehmigen und nach getaner Wollust einen Film im Fernsehen ansehen. Einen von denen, wie sie Magret auf den Tod nicht ausstehen konnte. Mit viel Blut, vielen Toten und einem Helden, der sie alle geschafft hatte, egal ob es sich dabei um Bruce, Sylvester oder Chuck handelte. Sie waren ihm alle recht, denn sie waren so, wie er gerne geworden wäre. Wie er ganz sicher geworden wäre, wenn er nicht so blöd gewesen wäre, diese alte Furie zu schwängern. Aber auch darüber war es sinnlos, sich einen Kopf zu machen, denn es war nun einmal geschehen, dachte Edward, knipste das Licht im Badezimmer an und wurde von dem Anblick, der sich ihm bot, einen guten Meter nach hinten geschleudert.
Er glaubte nicht, was er sah. Er begriff nicht, was er sah. Er sah sich außerstande, das, was er sah, in die Form eines realisierbaren Gedankens umzusetzen. Ein Blitzschlag war in seine Wirbelsäule gefahren, der ihn erstarren ließ. Margret, oder das, was von ihr übrig war, hing kopfüber im Waschbecken. Das Gesicht, wenn man diese entstellte schwarze Fratze noch Gesicht nennen konnte, war ihm zugewandt und grinste ihn lippenlos an. Aus ihrem Kopf ragten Drähte, die zu den beiden Steckdosen führten. Es knisterte darin wie in einem Lagerfeuer. Auch Margrets Kopf machte Geräusche. Aber das war ein seltsames Blubbern. Wie eine kaputte Pumpe, die mit letzter Kraft versuchte, etwas von innen nach außen zu befördern. Aus ihren leeren Augenhöhlen schlugen kleine Bläschen, die sofort wieder zerplatzten. Edward war an einem Punkt angelangt, an dem er das Bild vor seinen Augen definieren konnte. Da lag seine Frau, die keifende Henne, die nie wieder keifen würde. Ihr Kopf war ein einziger schwarzer Klumpen, der bestialisch stank und ihn angrinste. Aus ihrem Kopf ragten Drähte. Es mochten einmal Lockenwickler gewesen sein.
Aber jetzt waren es Drähte, die direkt in beide Steckdosen rechts und links vom Spiegelschrank führten. Jetzt realisierte er es und jetzt begann er zu schreien.
Er schrie, weil es das einzige war, das er tun konnte. Ja, es war, als schreie er gar nicht selbst, sondern als ob der Schrei ihn übermannte. Er torkelte noch zwei Schritte nach hinten und stieß an die Wand im Flur. Dann bemerkte er etwas im Augenwinkel und drehte seinen Kopf zur Seite. Was er nun erblickte, ließ den Schrei verstummen. Jetzt war er im Begriff, wahnsinnig zu werden.
Vor ihm, den ganzen Flur hinauf, stand der Inhalt seines Besteckkastens, seines Musterkoffers. In Reih und Glied, wie eine Armee, die sich zum Angriff formiert. Ganz vorn die Kuchengabeln, leicht geneigt, um direkt zustoßen zu können. Dann die Gabeln des Essbestecks in zwei Reihen formiert. Direkt dahinter die Fisch- und Fleischmesser. Weiter hinten eine Reihe Löffel. Rechts die Suppenlöffel, links die Kaffeelöffel. Flankiert von einem Tortenheber, Tranchiergabel und Schöpfkelle, die sich um die eigene Achse drehte wie eine Prima Ballerina. Ganz hinten, am Ende des Flurs, stand Daniel und blickte seinen Vater anklagend an.
»Was… was… ist…«, stammelte Edward Parker, als sein neunjähriger Sohn die Augen schloss und die silberne Armee sich auf ihr Opfer stürzte.
Es dauerte kaum eine Minute. Und es war auch kaum etwas zu sehen gewesen, außer vielleicht ein Orkan aus silbernen Blitzen, der um eine taumelnde Gestalt getanzt war. Danach war es still. Edward lag am Boden, auf einem Bett aus Silber. Seinem geliebten Silber. Messer und Gabeln steckten in seinem Körper. Löffel hatten seine Augen aus ihren Höhlen geschält. Ein Tortenheber steckte in seiner Stirn, eine Tranchiergabel in seinem Unterleib. Ein groteskes Stilleben, wie es schauderhafter nicht sein konnte. Und dennoch empfand Daniel es als etwas sehr Schönes. Etwas, das sehr viel Ruhe ausstrahlte. Sein Vater hatte plötzlich etwas Friedvolles an sich, etwas, das er vielleicht schon früher besessen haben mochte, es jedoch nie hatte zeigen können. Jetzt konnte er es. Es gab nichts mehr, das seine Ruhe stören konnte.
Daniel trat einige Schritte näher und verschränkte die Hände, so als wolle er ein Gebet sprechen. In stiller Andacht blieb er stehen. Für einen Moment stellte er sich vor, wie sein Vater, sein neuer Vater, aufstand und sich das Besteck vom Körper wischte. Er stellte sich vor, wie Mommy aus dem Badezimmer kam, sich die Drähte aus ihrem Kopf zog und ihn anlächelte. Becky kam die Treppe heruntergehüpft, fröhlich, ohne den geringsten Groll in ihrem Innern. Alle scharten sich um Daniel und umarmten ihn. Sie dankten ihm für seine Hilfe. Dafür, dass er ihnen die Möglichkeit gegeben hatte, dieses Gefühl von Ruhe und Zufriedenheit erleben zu dürfen. Zum ersten Mal fühlte er sich als Teil einer Familie. Dann begann das Klingeln an der Haustür, das in heftiges Klopfen und Schlagen überging. Er hörte die Nachbarn rufen. Sie versuchten, ihn zu warnen. Aber vor was? Jemand versuchte, den Türgriff anzufassen und verbrannte sich die Hand.
Rauch stieg in Daniels Nase. Die Balken im Mauerwerk hatten Feuer gefangen von den Wasserleitungen, die langsam schmolzen. Alles Metall um ihn herum begann wie glühende Lava zu zerfließen.
Dann explodierte die Gasleitung.
