Der Ruf des Werwolfs

Edgar wusste nicht, was er sagen sollte, darum hielt er ganz einfach seinen Mund. Wut schwoll in seinem Bauch zu einem unförmigen Klumpen, der schwer in seinem Magen lag. Er versuchte es mit einem abfälligen Gähnen zu überspielen. Die Frau ihm gegenüber spielte teilnahmslos an einer Locke in ihrem Haar, und in Edgar erhärtete sich der Verdacht, dass er sich wieder einmal eine Nacht umsonst um die Ohren schlagen würde.

»Um Mitternacht käme er, sagten Sie?«, fragte Edgar.

»Pünktlich auf die Minute. Warten Sie‘s nur ab«, erwiderte sie, drehte weiter Locken um ihre Finger und schaute ein wenig misstrauisch drein, so als ahne sie, dass Edgar ihr kein Wort von dem glaubte, was sie ihm erzählt hatte.

Es war kurz nach elf. Edgar nickte und steckte sich eine Zigarette an. Dabei dachte er an die unzähligen Bemühungen, Beweise für die Existenz übernatürlicher Wesen zu finden. So oft schon hatte er mit Leuten gesprochen, die ihm einen Spuk, ein geheimnisvolles Geschöpf oder ein UFO mit außerirdischen Insassen versprochen hatten. Und immer hatte er »geglaubt«, hatte sich von der Existenz des Unglaublichen überzeugen wollen und war mit den Leuten gegangen, die dann meist mit einer kindischen Ausrede erklärten, dass es sich wohl um einen Beobachtereffekt handeln müsse, dass gerade jetzt, wo er die Sache unter die Lupe nehmen wollte, nichts von dem geschah, was man ihm großartig angekündigt hatte. Tausendmal hatten sich derlei Schauspiele wiederholt, und immer wieder fiel er darauf herein.

»Hat außer Ihnen noch jemand den Werwolf gesehen?«, fragte er.

»Hm… Glaube nicht. Und die, die ihn gesehen haben, sind entweder zu feige, um davon zu erzählen oder aus dem Dorf gezogen oder tot!«
Ein weiteres Indiz dafür, dass diese Frau wahrscheinlich die ganze Zeit von ihren eigenen Halluzinationen geschwafelt hatte. Edgar nahm einen Schluck von seinem kaltgewordenen Kaffee.

Tatsache war, dass dieses Bergdorf von einer unheimlichen Mordserie heimgesucht wurde. Auch fanden diese ausschließlich in Vollmondnächten statt. Wenn man sich die Fotos der zerfetzten Leichen betrachtete, war man tatsächlich geneigt, an ein Monster zu glauben. Aber es gab nun einmal leider Gottes genug Wahnsinnige, die sich für Dracula, Jack the Ripper oder sonst einen Star aus dem Gruselkabinett hielten. Dahinter verbarg sich dann meist eine gespaltene Persönlichkeit oder ein manischer Schizophrener. Jemand, der nicht im geringsten etwas von dem begriff, was er da eigentlich machte. Jemand, der an sich aber überhaupt nichts Übernatürliches an sich hatte.
Aber gerade das war es, was Edgar interessierte. Seit nunmehr als acht Jahren. Allein auf seiner Suche nach dem Ursprung des Werwolf-Mythos hatte er sich durch meterdicke Berge von Büchern gequält, hatte sich die belletristische Seite und die analytische angesehen, mit dem Ergebnis, dass er immer noch nicht wusste, ob es so etwas gab oder nicht.
Er wusste das, was eigentlich jeder wusste. Der gequälte Mensch, der durch ein Ritual oder den Biss eines Werwolfes zu seinem Artgenossen wurde, verwandelt sich bei Vollmond. Dann streift er ruhelos durch die Nacht und labt seinen triebhaften Heißhunger an unschuldigen Geschöpfen. Er reißt, was ihm begegnet, der unbarmherzige Jäger, der sich an nichts mehr erinnert, wenn er am nächsten Morgen erwacht, nackt, blutbefleckt, mit der Gewissheit etwas Schreckliches getan zu haben.

»Wie kamen Sie eigentlich dazu, sich mit so etwas zu beschäftigen?«, fragte sie.

»Hmm… Das kann ich auch nicht so genau sagen. Es war wohl immer so, dass ich spitze Ohren bekam, wenn ich irgendwo von etwas Übernatürlichem oder Unglaublichem hörte. Der Werwolf interessiert mich, weil er eine der ältesten Sagengestalten ist. Vermutlich spricht er auch meine dunkle Seite an.«
Edgar versuchte so etwas wie ein Lächeln zustande zu bringen. Sie schwieg. Vermutlich, weil er den Werwolf als eine Sagengestalt bezeichnet hatte, wobei sie dieses Wesen doch für absolut real hielt.

»Dann wird es wohl heute das erste Mal, dass Sie einem begegnen, wie?«

»Ich hoffe es!«

Edgar nippte an seiner Tasse und ärgerte sich. Insgeheim hatte er die Frau bereits als hoffnungslose Neurotikerin abgestempelt. Eine von der Sorte, die sich wichtig machen will, um einmal in ihrem Leben etwas Besonderes zu sein. Und dabei hätte sie es doch weiß Gott nicht nötig gehabt, einen auf Die große Geheimnisträgerin zu machen. Sie war schön. Ja, das war sie. Schwarzes langes Haar, das wie ein Samtteppich über ihre Schultern floss. Ihr Gesicht, wie ein Gemälde. Ohne Fehler, ohne Makel. So schön, und so verrückt, dachte Edgar.

»Sie erinnern mich an meinen Mann«, sagte sie und lächelte auf ihre verhaltene Art.

»Sie sind verheiratet?«

Sie nickte nur und starrte auf die Maserung des Tisches, als sähe sie ein Bild darin.

»Was ist… Ich meine, warum sind Sie…«

»Er ist tot!«

»Oh!« Edgar schluckte. »Das tut mir leid…«

»Schon gut. Es ist schon ziemlich lange her.«

Und während sie sich ansahen, glaubte Edgar einen Schatten in ihrem Blick zu bemerken. Einen Schatten aus Trauer und Scham. Jedoch konnte er sich nicht im Geringsten erklären, wie es zu diesem Eindruck gekommen war, denn jetzt sah er sie wieder lächeln.

»Kommen wir noch einmal auf den Werwolf zu sprechen«, sagte Edgar und räusperte sich. Er glaubte nicht an die Existenz dieser Bestie, auch wenn ihm Sanja, so war der Name dieser schwarzhaarigen Schönheit, das Gegenteil glaubhaft machen wollte. Angeblich hatte sie ihn gesehen, ihm sozusagen direkt gegenübergestanden, als er von einem seiner Beutezüge gekommen war, der einem Nachtclubbesitzer und zwei beleibten Bauchtänzerinnen das Leben gekostet hatte. Der Hausmeister des Clubs hatte sie eines Morgens gefunden. Man vermutete, dass Adolf Koblan, Besitzer der Sissy-Bar, es mit seinen Angestellten auf eine sehr persönliche Art und Weise gemütlich gemacht hatte, als plötzlich eine vierte Person dazugekommen sein musste, die dem lasziven Treiben auf höchst unschöne Weise ein Ende bereitet hatte. Man konnte anhand der Überreste zunächst nur abzählen, dass es sich um drei Personen handelte, die Identifizierung der Leichen erfolgte später durch die Obduktion. Zerschlagene Champagnerflaschen und ein Meer von Essenresten, die in Blut getränkt überall im Zimmer zu finden waren, deuteten auf ein geselliges Beisammensein hin. Auf diverse Gruppensexaktivitäten konnte man nur aus der Tatsache schließen, dass Herr Koblans Genital sich im zertrümmerten Kiefer einer Bauchtänzerin befand, während der Rest von ihm über das Bett verteilt war und eine Schar von Fliegen anlockte. Edgar versuchte die ekelhaften Bilder aus seinem Gedächtnis zu wischen.

»Also, es war die Nacht, als der Barbesitzer Koblan getötet wurde.«

»Genau. Ich kam gerade von der Tankstelle. Ich hol mir nämlich nachts manchmal ein paar Tuborgs, wenn ich nicht schlafen kann, wissen Sie«, erzählte sie und grinste verlegen.

»Wenn Sie übrigens eins haben möchten, dann…«

»Später vielleicht.«

»Gut. Ich war also auf dem Nachhauseweg. Es war so um halb eins… Hmm. Ich kam aus der Gärtnerstraße und bog in den Knittelweg, als ich diese Gestalt sah. Es war ziemlich dunkel, weil ein paar Idioten die Straßenlampen ausgetreten hatten. Das ist so eine Art Sport hier bei den Jugendlichen, müssen Sie wissen. Ich habe die mal beobachtet. Sie nehmen Anlauf und treten mit voller Wucht gegen die Lampen, Sie wissen schon, diese kleineren Wegbeleuchtungen.«

»Ich weiß, was Sie meinen, aber…«

»Und irgendwann gehen die dann aus. Wahrscheinlich gibt‘s dann einen Kurzschluss oder so was.«

»Kommen wir auf die Gestalt zurück.«

»Natürlich… Entschuldigung. Da war also diese Gestalt. Etwa einen Kopf größer als ich und ziemlich kräftig gebaut. Das Merkwürdige war, dass sie nicht ganz aufrecht ging, sondern etwas gebückt. Und dann gab sie so merkwürdige Laute von sich. Ganz komisch, wie ein lautes Grunzen.«

»Hmm…«

»Sie kam auf mich zu und dann erkannte ich in der Dunkelheit ein riesiges behaartes Etwas… Ich weiß nicht. Es war, als sähe ich einen Hund, aber dann wieder doch nicht… Eine Mischung aus Mensch und Hund. Er hatte eine lange Schnauze und sehr lange Zähne. Er roch fürchterlich, so als… na ja. Nicht gut, eben. Ekelhaft. Sie verstehen, was ich meine?«

»Ich denke schon. Was passierte dann?«

»Ich erschrak und ließ die Bierdosen fallen, und dann rannte ich… Ich rannte, so schnell ich konnte und blieb erst wieder vor meiner Haustür stehen.«

»Ein ganz schönes Stück«, sagte Edgar und betrachtete sie prüfend.

»Im Laufen war ich schon immer ziemlich gut.«

»Hmm…« Edgar überlegte. Er hatte sich in der Stadt umgesehen. Hatte die Spuren der Bestie verfolgt. Aber außer dieser armen Frau ihm gegenüber hatte niemand etwas gesehen. Sie schien der einzige Zeuge für die Existenz des Ungeheuers zu sein, außer die Leichen natürlich, aber die konnten sich ja nicht mehr dazu äußern. Edgar zweifelte an der Schilderung Sanjas. Er kannte die Gärtnerstraße, wo besagte Tankstelle befand, dessen Besitzer auch ein Opfer der Bestie geworden war. Er kannte auch den Knittelweg zwei Querstraßen weiter, doch suchte er im Moment nach Straßenlampen. Etwas stimmte nicht an ihrer Erzählung. Dann erinnerte er sich an die Fußgängerzone mit den halbhohen Straßenleuchten, die sich durch den Mittelgang des Fußweges zogen, die Schaufenster der zahlreichen Läden und dass es genau dort war, wo Sanja ihn angesprochen hatte. Inzwischen war es fünf Minuten vor halb zwölf.

»Was überlegen Sie?«

»Ach nichts. Ich hab‘s mir versucht vorzustellen. Und seite dem, streift dieses… Wesen hier um ihr Haus herum.«

»Ja. Ich denke es hat meinen Geruch aufgenommen oder so. Und möchte vielleicht, das jemand weiß, wie es aussieht. Auf jeden Fall streift es hier durch die Straßen. Ich habe es jedes Mal gesehen, wenn Vollmond war und ich nicht schalfen konnte. Ich schalte dann imer das Licht aus und und strarre zum Fenster raus… Möchten Sie vielleicht jetzt ein Bier?«

»Hmm… O.k.«

»Sehr gut, dann trink ich auch noch eins…«

*

Edgar schob die Kaffeetasse mit ihrem eiskalten Inhalt beiseite und dachte alles noch mal durch. Er hatte von der Sache vor vier Monaten gehört, als sein Schwager übers Wochenende zu Besuch gekommen war. Im Verlauf eines mittelschweren Gelages hatte Rudi in seiner Volltrunkenheit alle Siegel der Schweigsamkeit gebrochen und ihm von diesem Verrückten erzählt, den sie auf dem Revier nur die Bestie vom Schmellbachtal nannten, und der vermutlich von sich meinte, er sei ein Werwolf oder was Ähnliches.
Rudi hatte ihm im Suff Abzüge der Polizeifotos gezeigt, die am Tatort gemacht worden waren. Rudi war sowieso ein verrückter Kerl. Er hatte die Angewohnheit, sich überall hin Arbeit mitzunehmen, selbst wenn er nur für zwei Tage die Stadt verließ. Wobei es allen, die ihn kannten, klar war, dass Rudi seinen Aktenkoffer niemals anrühren würde, außer vielleicht um damit anzugeben.

Es ist wieder mächtig viel los auf dem Revier. Jeder Tag sollte 48 Stunden haben.

Und dann hatte er im Suff seinem Schwager, der ein Fetischist war, was abnorme Dinge betraf, Einblick in vertrauliche Polizeiakten gewährt. Rudi hatte Edgar am nächsten Morgen nochmals ausdrücklich um absolute Diskretion gebeten, was die Sache betraf. Ihm war klar, dass er seinen Hut nehmen konnte, wenn Edgar seinen Mund nicht hielt.
Edgar hielt seinen Mund und hatte sich gefragt, wie seine einzige Schwester im Stande gewesen war, so einen Trottel zu heiraten, konnte es jedoch nicht lassen, hierher nach Schmellbach zu kommen, nachdem die Zeitungsmeldungen immer spektakulärer wurden und sie die Sache jetzt auch in der Tagesschau brachten.
Dann hatte er Sanja aufgegabelt, oder besser gesagt sie ihn, als er sich auf einem Spaziergang die Spur des vermeintlichen Wolfes suchte.
»Sie sind nicht von hier, oder?« hatte sie gefragt und schien auf den ersten Blick sehr nett zu sein. Als er dann bei einer Tasse Kaffee etwas von seinen Absichten durchblicken ließ, hatte sie sich ihm sozusagen an den Hals geworfen und inbrünstig von der Echtheit des Wolfes überzeugen wollen…

»Aber ich habe ihn gesehen, das müssen Sie mir glauben!«

…für einen kurzen Moment empfand er, als würde er dem Wolf höchstpersönlich gegenüberstehen. Ja, er hielt sie eine kurze Schrecksekunde für eine gefährliche Psychopathin.
Doch dann entpuppte sie sich als eine einsame Schöne, die ein bisschen spinnert, zurückgezogen in ihrer Dreizimmerwohnung im Erdgeschoss eines kleinen Hauses lebte. Die Wohnung im oberen Stock war derzeit nicht vermietet und so lebte sie ganz allein und zurückgezogen und schien eigentlich sonst nichts Wichtiges im Leben zu haben. Über ihre Vergangenheit war nicht viel herauszubekommen,

…Sie erinnern mich an meinen ersten Mann…

…was ihm aber auch nicht besonders wichtig erschien. Ihre Wohnung war vollgestopft mit allem möglichen Krimskrams, Porzellanfiguren, kleine Messingdöschen, getrocknete Blumensträuße, die kopfüber an den Wänden hingen. Große, kleine und winzige Bilder, auf denen Schäfchen, Kühe und andere Nutztiere in ländlicher Umgebung abgebildet waren. Ein Original-Watzmann-Kalender, der in Versen die Sage des Berchtesgadener Königs erzählte. Edgar schämte sich ein wenig, aber im Grunde hielt er diese Person für ziemlich bescheuert, und das Einzige, was ihm im Moment ein Lichtblick zu sein schien, war, dass er morgen zurück nach Stuttgart fahren würde.

»Hier ist das Bier! Brauchen Sie ein Glas oder…«

»Lassen Sie. Ich trink es aus der Dose.«

»Richtig so. Ein Tuborg kann man auch nur aus der Dose trinken. Zum Wohl.«

»Prost!«

Sie nahm einen gierigen Schluck und Edgar glaubte jetzt zu wissen, wo das Grundproblem bei ihr saß. Er akzeptierte es und trank. Wenigstens passte die Temperatur seines Getränkes zu dessen Inhalt.

»Ich muss höllisch aufpassen«, sagte sie. »Ich bekomme nämlich ziemlich schnell einen Schwips!«

»Ach ja?«

»Und wie schnell! Ich mache das nicht oft. Trinken, meine ich. Ab und zu vielleicht einmal ein Gläschen, aber nicht mehr. Deshalb reichen bei mir auch ein, zwei Gläschen und dann werde ich erst lustig und dann soooo… müde!«

Jetzt gackerte sie läppisch wie eine pubertierende Ente und Edgar starrte auf ihre üppigen Brüste, die lustig auf und ab wippten. Als hätte sie mit dem ersten Schluck Bier ihr ganzes Misstrauen hinuntergekippt.

Doch Edgar wusste über das psychogene Innenleben des Neurotikers Bescheid, bei dem sich das ganze Erscheinungsbild von jetzt auf nachher ändern konnte. Im einen Moment misstrauisch, im anderen verliebt. Und so stark das Misstrauen sein konnte, desto stärker konnte sich auch die Anhänglichkeit äußern.

»Da fällt mir eine Geschichte ein!«, sagte sie und kicherte wieder, was Edgar veranlasste seinen Werwolf endgültig abzuschreiben. Er beschloss, sich nun ihre Geschichten anzuhören, bis es Mitternacht schlug. Dann würde er sich entschuldigen und sagen, dass es schon sehr spät sei und so weiter und so fort.

»Als ich noch ein Teenager war…«, erzählte sie weiter, »…hatten wir diesen Lehrer. Sein Name war Richard Thomsen. Er hatte gerade seine Prüfung als Lehrer abgelegt und war keiner von diesen alten Spießern. Wir waren alle ganz verrückt nach ihm. Alle Mädchen aus unserer Klasse. Er hatte schulterlanges dunkles Haar, einen schmalen Oberlippenbart und trug immer hautenge Jeans. Er war anders als die anderen Pauker und wir hatten ein Schweineglück, als Thomsen unser Klassenlehrer wurde. Er unterrichtete Deutsch, Mathematik, Bio und Geschichte. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, als wir im Biologiesaal alleine waren!«

Sie starrte Edgar plötzlich prüfend an, als wolle sie seine Reaktion genauesten analysieren.

»Wie bitte?«, fragte Edgar aufgeschreckt.

»Na ja… Er war der erste, der… Ich meine, er war der erste Mann, der mich.. Sie wissen schon.«

Edgar glotzte sie fassungslos an, während sie einen kräftigen Schluck aus der Dose nahm, bevor sie weiterredete. Mit der Wirkung des Alkohols schien es wirklich schnell zu gehen. Vielleicht ein bisschen zu schnell. Aber Edgar dachte, dass manche den Alkohol nur als Vorwand benutzten, um sich ungezwungen äußern zu können. Dabei war es unwichtig, ob der Alkohol wirkte oder nicht. Der Placebo-Effekt des Bieres schien auch bei ihr auszureichen. Es stand fest. Sie war verrückt, wenngleich auf eine plötzlich nicht unangenehme Art und Weise. Sie war eine einsame Frau, die niemanden zum Reden hatte.

»Ich musste nachsitzen. Hatte meine Bioarbeit verhauen. Plötzlich stellt er mir eine Dose Bier hin und sagt, ich solle das trinken, dann könnte ich mich besser konzentrieren. Ich war natürlich nicht ganz so naiv, wie er meinte, spielte aber mit. Und dann… Na ja. Oh, mein Gott, ich glaube, ich hab schon einen kleinen Schwips.«

Kein Wunder, dachte Edgar, weil es klar war, was sie wollte. Was sie vermutlich schon in dem Augenblick gewollt hatte, als sie ihn auf der Straße angesprochen hatte. Sie wollte einen Fick und zwar einen Guten.

»Was schauen Sie denn so?«, turtelte sie und stellte die Bierdose ab.

»Oh, nichts…«, antwortete Edgar und grinste.

Sie war wirklich hübsch und versteckte vermutlich die schönsten Titten des Dorfes unter ihrer Bluse. Was brauchte man Werwölfe, wenn man sich mit weitaus angenehmeren Dingen Kurzweil verschaffen konnte, schoss es Edgar plötzlich durch den Sinn.

»Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«

»So was fragt man aber keine Dame…«

»Oh…«

»Schon gut. Ich bin 27…«

…und scharf wie eine rollige Straßenkatze, dachte Edgar und rutschte etwas näher zu ihr. Sie machte keine Anstalten, die Distanz zu ihm wieder herzustellen. Im Gegenteil rutschte sie auch etwas näher und legte ihre Hand auf seinen Schenkel.

»Wissen Sie eigentlich, dass Sie ein attraktiver Mann sind?«, fragte sie und drehte ihren Kopf leicht zur Seite.

»Danke sehr… Und sie sind sehr direkt. Das kann einen Mann schon verwirren.«

»Das soll es aber nicht. Schließlich sind wir wegen des Werwolfes hier, oder?«

»Der beginnt gerade in mir zu erwachen…«, sagte er und grinste.

Sanja lächelte und begann zögernd Edgars Schenkel zu massieren. Dabei blickte sie ihm tief in die Augen und strich sich mit der Zunge über ihre Lippen.

»Willst du mich?«, flüsterte sie und kam näher.

Edgar hatte keine Zeit mehr, ihre Frage zu beantworten, denn im nächsten Moment lagen seine Lippen auf den ihren. Als er ihr seine Zunge in den Mund schob, begann sie daran zu saugen, was Edgar wiederum auf einen anderen Gedanken brachte. Er nahm ihre Hand von seinem Schenkel und legte sie sich zwischen seine Beine. Sie dachte gar nicht daran, mit der massierenden Bewegung aufzuhören. Im Gegenteil. Sie nahm beide Hände, knöpfte seine Jeans auf und holte den kleinen Werwolf heraus, damit er mehr Luft bekäme, damit sie ihn besser massieren konnte.

Edgar stöhnte leise auf. Er hielt ihren Kopf mit seinen Händen und rieb seine Zunge an der ihren. Sein Becken schien sich zu verselbstständigen und vollführte sanfte Stoßbewegungen, im rhythmischen Gleichklang mit dem Auf und Ab von Sanjas geschickten Händen. Sie löste sich von seinem Mund und legte ihr Köpfchen in seinen Schoß, als könne sie Edgars Gedanken und somit seine innigsten Wünsche erraten. Sie hielt sich auch nicht damit auf, sich langsam an seinem Schwanz heranzutasten, sondern nahm ihn ganz von Anfang an, presste ihre Lippen zusammen und saugte sich an Edgars Ständer fest.

Nun ging ihr Kopf in stetigem Wechsel mit Edgars Becken auf und ab, und er war der felsenfesten Überzeugung, es mit einer ausgebildeten Kurtisane zu tun zu haben. Keine einsiedlerisch lebende Witwe konnte so blasen, oder vielleicht doch? Vielleicht war es das gewesen, was sie so lange vermisst hatte. Vielleicht hatte sie ihn auch nur deshalb angesprochen, weil er ein halbwegs gutaussehender Kerl war, der offen genug für einen guten Fick zu sein schien. Jemand, den man durchaus unter einem läppischen Vorwand in sein Häuschen locken konnte, um mit ihm seine geheimsten Hintergedanken auszuleben. Ist schon recht so, dachte Edgar, blas schön weiter.
Irgendwann wurde es zu eng auf der Eckbank. Sanja hob ihr Köpfchen und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Bluse über den Mund.

»Lass uns zum Sofa gehen, ja?«

»In Ordnung«, stöhnte Edgar.

Es war zehn Minuten vor zwölf.

Sanja hatte es sich auf ihrem Blümchenmustersofa bequem gemacht und lehnte sich zurück. Sie zog ihren Rock langsam nach oben und spreizte ihre Beine, wohlwissend, dass Edgar diesem Anblick und der Tatsache, dass sie darauf verzichtet hatte, ein Höschen anzuziehen, nicht sehr lange widerstehen konnte. Er kniete sich vor sie und strich mit den Händen an den Innenseiten ihrer Schenkel entlang. Sanja stöhnte leise auf, als er zielsicher mit seinem Daumen den empfindlichsten Punkt in ihrem Schritt berührte.
Edgars kleiner Wolf sprang aufgeregt auf und ab, als schnappe er nach Luft. Es schien auch, als schnuppere er den herben Duft zwischen Sanjas Beinen, denn weder ihn noch sich selbst konnte Edgar länger zurückhalten, kletterte auf Sanja und brachte seinen Wolf in Position.
Ein leiser Jauchzer aus Sanjas Mund sagte ihm, dass sie ihn spürte, wie er in sie eindrang. Erst langsam, dann heftiger. Sie packte seine Hüften und zog ihn in sich.
»Komm… Ja… Fick mich…«, stieß sie es aus sich heraus.
Eine Hand hatte er unter ihren Hintern geschoben, die andere unter ihre Bluse. Auch auf einen BH hatte sie heute verzichtet. Sanja entpuppte sich als ein Mädchen, das wirklich praktisch dachte.

»Komm… mach schneller… ja… so isses gut.«

Sie war nicht die erste Frau, bei der er zu dem Schluss kam, mit zu wenigen Händen ausgestattet zu sein. Während sie auf seiner Linken praktisch saß, wusste er nicht, wo er seine Rechte platzieren sollte. Er ließ von ihren Brüsten ab und schob seine Hand in ihren Nacken, während ihre Zungen in ihren Mündern wühlten. Seine Zunge glitt aus ihrem Mund, strich zu ihrem Hals. Zum Nuckeln steckte er ihr seinen Daumen in den Mund, an dem sie gierig zu saugen begann. Ihr Unterleib klatschte gegen sein Becken. Ihre Bewegungen wurden schneller…

Es war fünf Minuten vor zwölf.

»Mmmm gomm schoo… hick mig… mhmhm«, murmelte sie, immer noch an seinem Daumen lutschend.
Es war, als hätte sich in Edgar eine Maschine in Bewegung gesetzt, die nicht aufhören konnte zuzustoßen. Und er stieß sehr fest zu. Immer fester. Als er ihre Fingernägel spürte, die sich in seinen Rücken krallten, schien es, als träte jeden Moment seine animalischste Seite zutage. Noch nie hatte ihn ein Fick derart angeturnt.
Nur gut, dass sie keine Nachbarn hat. Dass niemand hört, wie das Sofa gegen die Wand schlägt, wie sie bei jedem Stoß aufschreit, als würde sie gefoltert. Nur gut, dass uns hier niemand hören kann.

Es war punkt zwölf.

Edgar hörte das Schlagen der Uhr, beachtete es aber nicht. Was interessierten ihn jetzt noch Werwölfe, jetzt, da er jeden Moment in dieser Fick-Maschine kommen würde. Alles um ihn herum war verschwommen, unwichtig, einfach nicht da. Es gab nur ihn, seinen Schwanz und dieses unverschämt enge Loch, in das er ihn gesteckt hatte. Dann, es war mit dem zwölften Glockenschlag, kam er, beendete diese Symphonie der Lust mit einem Feuerwerk, wie er es selbst niemals für möglich gehalten hätte. Sanjas zitternder Leib nahm seinen Lebenssaft in sich auf, schluckte jeden Tropfen, wie die Sonne die letzten Tropfen einer versiegenden Wüstenquelle. Sie hatte ihre Beine um sein Becken geschlungen und presste ihn an sich, bis er sich nicht mehr bewegen konnte. Dann sogar ein bisschen mehr.

Auch sie kam, auf eine andere Art und Weise, aber sie kam. Ebenfalls so, wie Edgar es niemals für möglich gehalten hatte. Und in ihrem Schrei des Aufbegehrens, einer Art Urschrei der Lust, fühlte Edgar zwischen seinen verschwitzten Fingern, die in einem ekstatischen Nachhall immer noch an Sanjas Hinterbacken klebten, einen flaumigen Pelz.
Er öffnete die Augen und zog seine Hände von ihrem Hintern, als hätte er sie auf eine heiße Herdplatte gelegt. In einer entsetzlichen Erstarrtheit blickte er zwischen Sanjas Beine und musste mit ansehen, wie sich Schamhaare über den Bauch fortzupflanzen schienen. Sich über ihre Brust legten, ihre Schultern, ihre Arme und den Hals überwucherten. Er fühlte plötzlich Pelz an seinen Lenden. Die stechende Behaarung, die aus den Poren ihres Körpers schoss. Und dann begann er zu verstehen. Zu spät, wie man vermuten könnte, und begann sich zu winden, zu drehen, in wachsender Verzweiflung aus der Umklammerung dieses Wesens zu befreien, das schon jetzt nichts mehr mit der Frau gemein hatte, mit der er vor Sekunden noch den besten Sex seines Lebens gehabt hatte. Und die jetzt in einer grauenvollen Metamorphose zu der Kreatur wurde, die er sein Leben lang gesucht hatte.
Jetzt verstand er, dass sie es gewesen war, die den Barbesitzer und seine Mätressen auf dem Gewissen hatte. Die den Tankstellenwart auf bestialische Weise getötet und kurze Zeit später vor ihrem eigenen Spiegelbild davongerannt war. Auch er erinnerte sich an sein Spiegelbild in der Schaufensterscheibe, als sie ihn unerwartet angesprochen hatte, vermutlich sogar wusste, dass er wegen ihr und nur wegen ihr in die Stadt gekommen war.

Ich habe sie beobachtet, wie sie die Lampen ausgetreten haben. Diese jungen Idioten…

Und dann entsann er sich der Liste von Opfern aus dem Polizeibericht, zu denen auch einige Jugendliche gehört hatten, die man zuvor noch randalieren gehört hatte. Alles passte zusammen. Edgars erster Eindruck, einer gefährlichen Frau gegenüberzustehen, war der Richtige gewesen, wie so oft sein erster Eindruck der richtige gewesen war.
Je mehr Energie er in den Versuch investierte, sich aus ihrem Griff zu befreien, desto bewusster wurde ihm, dass es zwecklos war. Der einzige Weg aus der Umklammerung schien nach unten abzutauchen, doch als er es versuchte und die Hinterläufe der Bestie sich um seine Hüften legten, gab es weder nach oben oder unten einen Ausweg. In diesem Würgegriff blieb Edgar nichts anderes übrig, als mit anzusehen, wie die Kreatur ihre letzten menschlichen Züge verlor.
Mit einem splitternden Krachen, als berste trockenes Holz, schob sich Sanjas Kiefer nach vorn. Ihre Zähne spritzten in hohem Bogen aus ihrem Maul und schafften Platz für Ihre messerscharfen Fangzähne. Einige prasselten gegen Edgars Gesicht.

Lange spitze Hauer wuchsen sowohl aus ihrer oberen als auch unteren Kieferreihe. Ihr Körper bäumte sich auf und mit jedem Atemzug, mit jedem Hub ihres Brustkorbes verschwanden ihre Brüste, die vorher noch, während sie es miteinander getrieben hatten, so lustig herumgehüpft waren. Ihre Brust wuchs zu einem massigen Korb, ihr Bauch verschwand unter dem schwarzbraunen Fell. Edgar sah mit aufgerissenen Augen einer grauenvollen Wahrheit entgegen. In diesem Akt gingen Edgar weiter seltsame Gedanken durch den Kopf. Ob Richard Thomsen heute noch am Leben war? Ob Koblan mit drei Frauen anstatt zwei Frauen seine perversen Spielchen begonnen hatte? Ob der Tankstellenbesitzer noch zu einer anständigen Nummer gekommen war, bevor er sein Leben ließ? Alle ihre Opfer hatten sich vermutlich auf die simpelste Art und Weise umgarnen lassen.

Ihre Hände hatten sich rechts und links in das Sofa gekrallt und rissen während ihrer Verwandlung große Fetzen Stoff aus dem Polster. Aus ihren Fingern schoben sich Krallen. Scharfe Krallen, die mit entsetzlicher Leichtigkeit immer größere Fetzen aus dem Polster rissen. Ihr Stöhnen hatte sich in eine fürchterliche Geräuschkulisse verwandelt, aus der zwischen Knurren, Hecheln und schmatzenden Sabbern plötzlich ein infernalisches Heulen die Hinrichtung des Mannes, der zwischen ihren Hinterläufen steckte und schon jetzt kaum noch Luft bekam, ankündigte.

Es war der Ruf des Werwolfs, den er hörte.

Edgar vermochte nicht einmal mehr zu schreien. Er fühlte nur den Schmerz, hörte das Krachen seiner Hüfte, fühlte die Krallen, die sich in seine Brust trieben und tauchte in die Dunkelheit, als ihre Fänge seine Kehle zerrissen und mit diesem Biss eine weitere Nacht des Werwolfes einleiteten.

***

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