Per Anhalter

Ich bin Vertreter für Spielwaren und ich liebe meinen Beruf. Auch wenn es sich nach dem letzten Drecksjob anhört.
Es macht mir Spaß, von Stadt zu Stadt zu reisen, um mich mit meinen Kunden zu treffen. Mit ihnen meine Kataloge durchzugehen und ihnen meine neuesten Angebote zu unterbreiten. So sitze ich hier in meinem Wagen und fahre die endlos schlingende Autobahn entlang. Gerade habe ich das Stuttgarter Kreuz hinter mir gelassen und weiß, dass ich noch einen sehr langen Weg vor mir habe heute Nacht. Es ist eine klare, milde und sternenreiche Nacht. Gerade habe ich mein Fenster ein wenig heruntergekurbelt und es fühlt sich gut an, wie der Wind in meinen Locken spielt. Es erinnert mich ein wenig an Sandra.
Sie hat auch immer mit ihren schlanken Fingern in meinen Locken herumgespielt und es dauerte nie lange, bis sie mit ihren kurz geschnittenen Fingernägeln meinen Hinterkopf hinunterstrich und meinen Nacken zu massieren begann. Sandra konnte massieren… meine Herrn, und wie sie das konnte.
Leider konnte sie unserer Beziehung nichts mehr abgewinnen. Im Bett klappte es nicht mehr und die ewigen Diskussionen über ihre esoterischen Ansichten, über das Leben nach dem Tod und wie man aus der Welt einen Ort der Liebe machen könne, mit positivem Denken, und wenn nur jeder einen Schritt auf den anderen zuginge, hingen mir auch zum Hals raus.
Ich glaube, ich hab sie doch ein wenig verletzt, als ich ihr gesagt hatte, dass ich diese ganze Eso-Scheiße für einen ausgemachten Schwindel halte und dass die Leute, die sich mit so einem Mist beschäftigten, nur eines sein konnten, nämlich bescheuert. Ich bin Spielwarenvertreter. Das heißt nicht, dass ich bescheuert bin.
Vielleicht hätte ich das damals wirklich nicht so direkt sagen sollen… das mit der Eso-Scheiße, meine ich.
Sandra war stocksauer und hat eine Stunde geheult. Ich denke jedoch, dass sie unsere Beziehung heute nicht mehr so einfach abbrechen würde. Ich fand das Ganze ohnehin reichlich überstürzt. Welcher Mann hat denn keine ausgefallenen Wünsche, was das Bett betrifft? Die meisten Männer sitzen samstags vor der Glotze, um sich die Sportschau anzuschauen. Andere setzen sich abends in eine Kneipe, um mit ihren Saufkumpanen Karten zu spielen. Diese Probleme hatte Sandra mit mir nicht. Ich wollte eben etwas mehr Action. Sandra hatte die Schnauze voll davon, okay… aber Schlussmachen? Und immer dieses saublöde Gejammer wegen dem Job. Ich bin nun einmal ein Spielwarenvertreter und ich werde mir keinen neuen Job suchen. Dazu liebe ich es zu sehr, herumzureisen… von einer Stadt in die nächste und nur zwei bis drei Tage daheim… Ich finde das vollkommen okay. Massieren konnte sie wirklich gut. Aber anscheinend ist dieser Job tödlich für jede Art von Beziehung.
Ich frage mich, ob ich nicht anhalten und ein wenig spazieren gehen soll. Es ist eine herrliche Nacht. Vielleicht werde ich am nächsten Rastplatz anhalten und einen Kaffee trinken. Ist ohnehin Zeit für eine kleine Pause. Was soll das denn jetzt? Mach doch das Fernlicht aus, du Idiot! Da kann man nur den Rückspiegel reinklappen und die Augen zukneifen. Blöder Hund! Wenigstens zieht er schnell an mir vorbei.
Daimler! War doch klar… Eigentlich hätte ich ihm auch die Lichthupe geben sollen. Dann hätte er… Ja, vielleicht hätte er dann abgebremst und mich an den Randstreifen gedrängt, zum Anhalten gezwungen und wir wären langsam aus unseren Wagen gestiegen. Dem hätte ich eine auf die Mütze gegeben, diesem Arschloch!
*
Noch drei Kilometer bis zum nächsten Rastplatz. Ich denke, ich werde eine Pause machen. Vielleicht ist der Daimler auch dort, dann können wir die Sache unter Männern regeln. Obwohl ich nicht der Typ bin, der sich herumprügelt. Nein, eigentlich nicht. Das war schon in der Schule so. Wenn es hart auf hart ging, hab ich mich schleunigst aus dem Staub gemacht. Das kam zwar bei den Mädels nicht so toll an, aber ich hab nicht ein einziges Mal eine in die Fresse gekriegt.
Nein, nein… Es ist schon alles richtig so gewesen, wie es war. Ich habe einen Beruf, der mir Spaß macht und wollte auch nie mehr als das. Andere wollen Schauspieler oder Sänger werden, aber ich mag es, wenn die anderen singen. Ich höre lieber zu. Jetzt geh ich erst mal einen Kaffee trinken.
*
Ich mag Rastplätze. Sie haben irgendwie etwas…
Magisches?
So ein Blödsinn! Das hört sich wie Sandras verfluchte Eso-Scheiße an. Aber irgendwie stimmt’s. Der Kaffee tut gut. Vorhin habe ich nach dem Daimler geschaut. Hat Glück gehabt, dieser Scheißkerl. Ich wäre davongerannt und er mir hinterher… und dann hätte das Arschloch einen Herzinfarkt gekriegt… Ha-ha-ha..
Oder er hätte vor Freude gesungen!
Was ist denn das? Die Kleine da drüben am Tisch mit dem Rucksack. Sie sieht süß aus, mit ihrem Pagenschnitt. Sie hat ganz schön große Möpse. Dass sie hier so alleine sitzt? Ihr Freund ist bestimmt auf dem Klo oder holt sich noch eine Tasse Kaffee. Ich glaube, sie hat mich schon bemerkt. Ich sollte vielleicht nicht immer so rüberstarren. Aber sie starrt ja auch immer so rüber. Vielleicht sucht sie ja nach einer Mitfahrgelegenheit? Jetzt lächelt sie sogar!
Ich hab schon manchmal auf meinen Touren gedacht… Vielleicht treffe ich eine nette Anhalterin, die ich mitnehmen könnte. Dann wäre ich auch nicht so allein. Wir könnten uns unterhalten oder…
Ach, aber das gibt‘s doch sowieso nicht! Mein alter Kumpel Karl hat mir das doch oft genug gepredigt. Es ist ganz einfach Utopie, wenn man glaubt, man könne irgendwo eine Frau kennenlernen und mit ihr noch am selben Abend ins Bett gehen. So etwas gibt‘s einfach nicht. Ich weiß noch, wie ich früher meine Streifzüge durch die Diskotheken gemacht hab. Nächtelang. Nur um eine Frau kennenzulernen. Und dann hatte ich mir immer vorgestellt, wie ich sie nach Hause bringe und wie wir dann im Auto anfangen rumzuknutschen und wie sie mich zu sich bittet…
So etwas gibt‘s einfach nicht. Gut, das eine Mal. Aber das war ja nichts. Wir haben rumgeknutscht, aber als ich ihr unter das T-Shirt gegangen bin, war es ihr schon zu viel. Wie hieß die nur gleich? Carola oder Claudia oder so.
Und dann das mit Susanne, nach der Faschingsfete. Ich habe mich benommen wie das letzte Arschloch. Sagt sie doch zu mir, sie wolle noch nicht nach Hause gehen. Wir könnten ja noch irgendwo hinfahren. Ich fahre mit ihr auf einen Parkplatz und… Wir reden zwei Stunden lang über ihren Ex-Freund. Ich hätte ihr nicht von meinen Problemen mit Frauen erzählen sollen. Das war bestimmt der Grund, warum sie mich hat abblitzen lassen, als ich mehr wollte. Nein, ich hätte es anders machen müssen, aber im Nachhinein ist man immer klüger.
Die Kleine starrt ja immer noch rüber.
Junge, pass auf, das ist vielleicht eine Chance. Sie steht auf, nimmt ihre Tasse und mit der anderen Hand ihren Rucksack. Hat ganz schön Kraft, die Kleine. Oh Gott. Ich glaub, sie kommt zu mir… Was soll ich… Ruhig bleiben, Junge. Vermassle es jetzt nicht.
»Entschuldigen Sie!«, sagt sie und lächelt ganz schüchtern.
»Ja?«
»Fahren Sie zufällig Richtung Nürnberg?«
»Ähm… Ja. Warum?«
»Könnte ich vielleicht bei Ihnen mitfahren? Ich wohne dort und fahre übers Wochenende heim.«
»Ja, natürlich. Ich wollte sowieso nur noch meinen Kaffee austrinken und dann gleich weiter, wenn es Sie nicht stört?«
»Nein… nein… Trinken Sie in Ruhe Ihren Kaffee. Ich bin froh, um diese Uhrzeit jemanden gefunden zu haben, der… Na ja, ich wollte nicht bei so einem Fernfahrer einsteigen. Sie wissen schon… Da ist mir einmal einer auf die Pelle gerückt.«
»Klar… Kann ich verstehen. Ich würde mir die Leute auch genau angucken, bei denen ich einsteige. Kann viel passieren, besonders um diese Uhrzeit.«
»Ja… Was machen Sie denn beruflich?«
»Oh, ich bin im Außendienst tätig und bin geschäftlich unterwegs. Ich arbeite für eine Spielzeugfirma. In Nürnberg, da ist doch immer diese Messe.«
»Ah so… Spielwaren. Hm…«
Das scheint sie nicht gerade anzutörnen. Was sage ich jetzt bloß? Sie ist wunderschön!
»Ja… Vorrangig Holzspielzeug. Wir halten nichts von diesem neumodischen Schnickschnack, wo Kinder stundenlang auf einen Mini-Bildschirm starren und langsam verblöden.«
»Das find ich prima… Wenn sich jemand mit seiner Verkaufspolitik gegen den Markttrend richtet.«
»Ja. Aber leicht haben wir‘s nicht.«
»Das glaub ich Ihnen gern.«
Sie ist nett. Sehr nett sogar… Ein süßes junges Ding. Ich freue mich auf die Fahrt mit dir. Vielleicht mag sie mich ja ein bisschen…
»Sind Sie schon lange unterwegs?«
»Zwei Stunden vielleicht. Aber keine Sorge! Ich werde nicht einschlafen. Ich hab mich heute schon ausreichend aufs Ohr gelegt.«
»Nein… So hatte ich es gar nicht gemeint. Na ja… Vielleicht doch ein bisschen…«
Ihr Lächeln ist wirklich zum Anbeißen. Überhaupt ist sie… Hör auf und mach dir keine Hoffnungen! Du solltest jetzt deinen Kaffee austrinken und dich auf den Weg machen. Du bist geschäftlich unterwegs und dein Job ist wichtig. Er ist das Wichtigste auf der Welt!
»Können wir?«, frage ich. Vielleicht ein bisschen überstürzt.
»Wenn Sie Ihren Kaffee…? Aber da ist ja noch was in der Tasse!«
»Lassen Sie ruhig. Er schmeckt mir sowieso nicht richtig. Ich bin zu verwöhnt, vom Kaffee, wie ihn meine Frau macht. Da kommt kein anderer ran…«
»Ist meistens so«, sagt sie und wirkt ein wenig… enttäuscht?
Wir stehen auf. Sorgfältig, wie es sich gehört, stelle ich die Tasse auf das Tablett mit dem gebrauchten Geschirr. Ich bin nämlich ein ordentlicher Mensch. Immer von der besten Seite zeigen, gerade dann, wenn eine hübsche junge Frau dabei ist.
Frauen wünschen sich den perfekten Mann. Frauen wünschen sich jemanden, der nett, zuvorkommend, sauber und adrett ist. Mit dem man sich gepflegt unterhalten kann, ohne Angst haben zu müssen, dass man ihnen gleich an die Wäsche will.
Keine Angst, kleines Mädchen. Ich tu dir nichts. Ich will nur, dass du mich auch ein wenig magst. Aber ich glaube, dass du mich auch ein wenig gern hast. So wie du mich gerade angelächelt hast, als ich dir die Tür zum Wagen aufgemacht habe. Ich gehe ums Auto und steige zu dir. Ich weiß es genau. Wir haben eine wundervolle Fahrt vor uns.
»Ist ja ein toller Wagen. Ich wusste nicht, dass man in einem BMW so bequem sitzt.«
Na endlich. Wir sind seit einer Viertelstunde unterwegs und sie hat kaum ein Wort gesagt.
»Ja… Er fährt sich auch sehr angenehm. Ist ein Firmenwagen. Selbst hätte ich mir dieses Geschoss nie leisten können.«
»Mein Gott! Wir fahren hundertdreißig und ich spüre weder etwas von der Geschwindigkeit noch höre ich ein besonders lautes Motorengeräusch. Ist echt Wahnsinn.«
»Sie selbst besitzen keinen Wagen…? Natürlich nicht. Ich Trottel. Sonst würden Sie ja nicht per Anhalter fahren.«
»Ich hatte mal eine Ente. Das war ein Drama, kann ich Ihnen sagen. Das Ding hatte eine Macke nach der anderen. Von wegen robustes Auto. Mein Vater hatte es mir auszureden versucht, aber ich musste natürlich meinen Kopf durchsetzen.«
»Natürlich…«
»Es war so eine Art Spleen. Die Ente verkörperte irgendetwas. Ich weiß nicht mal genau was… Vermutlich war sie eine Art Symbol für die Rebellin in mir. Mein Vater fährt einen Opel-Ascona. Meine Eltern sind überhaupt sehr konservativ. Die typischen CDU-Wähler… Aber mit der Ente hatte Daddy recht.«
»Tja…«
»Was wählen Sie denn? Oh, geht mich natürlich nichts an…«
»Schon gut. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich schon lange nicht mehr wählen war. Politik ist nicht so mein Fall. Ist vielleicht eine etwas oberflächliche Einstellung. Vielleicht auch eine kleine Rebellion.«
»Recht haben Sie! Man sollte einfach nicht mehr hingehen… zur Wahl, meine ich.«
Ich würde jetzt gern meine Hand auf ihren Schenkel legen. Oh mein Gott, wie gern würde ich das tun. Aber ich werde es natürlich nicht tun, weil es sich nicht gehört. Ich glaube jedoch, dass sie mich mag. Irgendwie schon…
»Ich bin richtig erleichtert«, sagt sie.
Was für ein Lächeln.
»Ja?«
»Ja. Jemand Netten gefunden zu haben, der mich mitnimmt. Ich hatte wirklich ein wenig Angst auf diesem blöden Rastplatz. Man kann schon von Glück sagen, wenn man jemanden erwischt, der einen nicht anfasst. Aber dann noch jemand, der höflich und nett ist. Ist schon eine Seltenheit.«
»Vielen Dank. Aber ich finde Sie auch sehr nett. Ehrlich gesagt… Ich hätte Sie auch nicht mitgenommen, wenn Sie… Ich meine, wenn ich Sie nicht irgendwie vertrauenerweckend gefunden hätte. Man ist ja heute auch nicht sicher, wenn man einen Anhalter oder eine Anhalterin mitnimmt. Ruck-Zuck bekommt man eine Pistole vorgehalten und schon ist das Geld und der Wagen weg. Wenn man Glück hat, bleibt man am Leben.«
»Stimmt. Von der Seite betrachtet… Was haben Sie denn da alles auf dem Rücksitz?«
»Oh, das sind meine Klamotten und ein Präsentationskoffer. Ich muss immer sehr viel Zeug mit mir rumschleppen, wenn ich auf Dienstreise gehe.«
»Stört es Sie, wenn ich das Radio anmache?«
»Nicht im Geringsten…«
Mach uns ein wenig Musik, meine Kleine…
»Oh… So ein Zufall… Ein Lieblingsstück von mir. Mögen Sie Chicago?«
»Was…? Oh ja, sehr gerne sogar. Wie hieß doch das eine Stück gleich?«
»If You Leave Me Now«
»Genau… Das ist ein Lieblingslied von mir.«
»So?«
»Ja… Ich… Was tun Sie denn da?«
Das darf doch nicht wahr sein. Das ist ein Traum… Das ist… Wenn ich Karl das erzähle, dann…
»Gefällt dir das nicht?«
»Doch… aber…«
Sie hat es getan. Sie hat ihre Hand auf meine Schenkel gelegt und streicht darüber. Oh mein Gott… Das darf nicht wahr sein, das…
»Gleich kommt ein Rastplatz. Wollen wir nicht eine Pause machen, hmm?«
»Eine Pause… Ja, gerne!«
Ich bin ein netter Mann. Ein Spielwarenvertreter. Was ein solider Beruf doch bei den Frauen bewirken kann. Aber es ist nicht nur das. Ich bin ein Mann, wie die Frauen ihn sich wünschen. Ein richtiger Mann eben… Und ich verspreche dir, dass ich dich nicht enttäuschen werde, mein Schatz…
Der Rastplatz, da ist er. Ich fahre die Einbuchtung rein und stelle den Wagen weiter hinten ab. Wir haben Glück.
»Es ist keiner sonst hier«, sage ich und mache den Gurt los. Du schaust mich so komisch an… Du… Was hast du da in deiner Tasche?
»Tut mir leid. Pech für dich!«
»Was!?«
»Du solltest keine Anhalterinnen mitnehmen. Weißt du das nicht?«
»Was soll die… Pistole?«
»Raus!«
»Wie?«
»Komm schon… Mach keine Sperenzchen. Ich habe keine Lust, dich über den Haufen zu knallen und die ganzen Sitze zu versauen. Vorhin habe ich gedacht, ich hör nicht richtig, als du von der vorgehaltenen Pistole geschwafelt hast. Ich dachte schon, du hättest den Braten gerochen. Glaubst du wirklich, dass sich ein Mädel wie ich mit so einem alten, versifften Sack wie dir einlässt? Träum weiter, Arschloch. Und mach, dass du aus dem Wagen kommst… Jetzt schau nicht so blöd aus der Wäsche, Arschloch! Ich…«
Wir unterbrechen das Programm für eine wichtige Meldung! – Die Musik im Radio hat aufgehört.
»Halt still, ich will das hören!«
Seit gestern 18 Uhr ist aus dem Psychiatrischen Landeskrankenhaus Weinsberg ein ca. fünzig-jähriger Mann abgängig. Er wird als fremdgefährdend eingestuft. Es folgt eine genaue Beschreibung…
»Nicht wichtig. Dachte schon, die suchen mich. Du bist nämlich nicht der Erste, den ich hopps nehme. Was grinst du denn jetzt so blöd. Raus aus dem Wagen!!! Mach jetzt, dass du aus… dem… Was tust du da?!?«
*
Ich bin ein Spielwarenvertreter und ich liebe meinen Beruf. Die Zigarette tut gut. Ich habe schon lange keine Zigarette mehr so genossen. Es ist eine wundervolle Nacht. Was meinst du, mein Goldschatz… Es ist schade, dass du mich nicht mehr hören kannst. Ich hätte dir so gerne mehr von mir erzählt. Ich hätte dir gerne erzählt, wie ich ein Spielwarenvertreter wurde, aber du wolltest nicht mehr zuhören. Jetzt kannst du es leider nicht mehr. Das ist so schade.
Du sahst so erschrocken aus, als ich dir die Waffe aus der Hand schlug und dir das Skalpell in die Brust stieß, das ich in der Seitentasche der Fahrertür noch liegen hatte.
Es ging alles so schnell, aber ich konnte leider nicht anders. Ich bin manchmal etwas stürmisch. Ich wollte doch nur, dass du für mich singst. So, wie die anderen für mich gesungen haben…
Ich habe von ganz unten angefangen, so wie du! Als Anhalter auf einer Autobahnraststätte, wo ich den netten Herrn traf, der mich ein Stück mitgenommen hat.
Er war allein, so wie du und ich… Und er erzählte mir, dass er ein Spielwarenvertreter sei, der nach Nürnberg zur Spielzeugmesse unterwegs war. Er erzählte mir sein ganzes Leben. Von seiner Frau, die er Sandra nannte, die seinen Job hasste, der tödlich für jede Form von Beziehung ist und so viele Sachen, die mich ganz durcheinander brachten. Sie hatte ihn massiert, wie keine andere und sie glaubt an Geister und eine Leben nach dem Tod und den ganzen Eso-Quatsch. Und sie hatte sich getrennt obwohl der das nicht wollte und auch nicht akzeptieren konnte. Er konnte sie nicht vergessen.
Und dann sagte er, dass er sich schon des Öfteren überlegt hatte, sich einen anderen Job zu suchen, aber wer gibt schon einem 48-jährigen eine Anstellung in einem völlig neuen Bereich? Noch einmal ganz von vorn anfangen ist in dem Alter so gut wie unmöglich!
Und je mehr er redete, desto mehr brachte er mich durcheinander… Ich wusste auf einmal gar nicht mehr, wer ich war… und auch die im Radio fingen plötzlich wieder an, über mich zu reden, so wie sie es früher getan haben, bevor sie mir die Medikamente gegeben haben, von denen ich rumlief wie ein Roboter. Und die Stimmen wurden immer lauter und plötzlich merkte ich, dass dieser Mann auch die ganze Zeit über mich geredet hatte und wieder wurde ich ganz durcheinander.
Und je konfuser ich wurde, desto wütender wurde ich. Und dann wurde mir schlecht und er fuhr an einen Rastplatz, wo ich das, was ich am Morgen noch in der Klinik gegessen hatte, wieder auskotzte und dann hat er für mich gesungen…
Zuerst musste er mir natürlich meinen Anzug wiedergeben und als er sich seine Sachen wieder angezogen hatte, hat er geweint und dann wusste ich, dass ER dieser Wahnsinnige ist, der aus dieser Klinik ausgebrochen ist und dann hat er für mich gesungen.
Nicht so laut und so klar wie du, mein liebes Kind, aber immerhin. Ich konnte ihn dann nicht mehr mitnehmen, denn wer fährt schon gerne mit jemandem durch die Nacht, der völlig wahnsinnig geworden ist.
Ich musste mich schnellstens auf den Weg machen, denn ich bin jetzt Spielwarenvertreter und muss doch nach Nürnberg, wo sie schon auf mich warten. Ich bin sehr stolz darauf, ein Spielwarenvertreter zu sein und ich werde noch einmal ganz von vorn anfangen.
Sei mir nicht böse, dass ich dir deine Sachen nicht mehr anziehen kann, aber die Geschäfte warten. Morgen werden die Männer kommen und dich holen und sie werden dich nicht gleich erkennen können, weil… du so wunderschön gesungen hast. Verzeih mir, wenn ich etwas stürmisch war, aber ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr mit einer Frau.
Dieser Job ist wirklich tödlich für jede Beziehung.


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